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Die vorgeschlagene Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) legt ein solides Fundament für gute Mobilität, schlanke Verwaltung und lebenswerte Städte. Der Entwurf für die Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) nutzt hingegen die neuen Handlungsspielräume bisher nur teilweise und lässt es an Klarheit missen.
Die Beratungen über die Reformentwürfe für das StVG und die StVO zwischen Bund, Ländern und Parlament sind in vollem Gang. Bis zum 6. Oktober konnten Verbände ihre Stellungnahmen zum StVO-Entwurf einreichen. Die Verbändeanhörung zum StVG fand bereits im Frühsommer statt. Bis Ende des Jahres soll der neue Rechtsrahmen für den Straßenverkehr stehen.
Neue Ziele im StVG ermöglichen mehr Handlungsspielräume für Kommunen
Bei der StVG-Reform geht es vor allem darum, die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung gleichberechtigt neben den Zielen der Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs aufzunehmen. So steht es bereits im Koalitionsvertrag und so findet es sich auch im Reformentwurf der Bundesregierung wieder.
Ergänzend hat der Bundesrat weitere sinnvolle Änderungen vorgeschlagen, um die Kommunen besser in die Lage zu versetzen, auf die spezifischen Herausforderungen vor Ort eingehen zu können. Geht es nach den Bundesländern, sollen beim Quartiersparken neben den Anwohner:innen auch ortsansässige Unternehmen und Organisationen begünstigt werden können. Das StVG soll zudem das Ziel enthalten, die Zahl der Verkehrstoten auf null zu senken (Vision Zero), und eine soziale Staffelung bei den Gebühren für Bewohnerparkausweise ermöglichen.
In der Praxis ist jedoch entscheidend, wie weit die zusätzlichen Ziele des StVG auch in der StVO berücksichtigt werden. Der vorliegende StVO-Entwurf erleichtert zum Beispiel das Einrichten von Busspuren sowie von Flächen für den Rad- und Fußverkehr. Zudem wird es den Kommunen ermöglicht, beim sogenannten Bewohnerparken bereits vorsorgend oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zu handeln. Diese Änderungen vergrößern die Handlungsspielräume der Kommunen deutlich, wie auch aus einem Gutachten der Kanzlei Becker Büttner Held hervorgeht.
Für Parkraumbewirtschaftung und Verkehrsberuhigung ist mehr drin
Die neuen Ziele des StVG werden jedoch im StVO-Entwurf nicht konsequent, sondern nur punktuell aufgegriffen. Das zeigt sich etwa bei der Parkraumbewirtschaftung. Die neuen Ziele sollen nur für das Bewohnerparken greifen. Offen bleibt, warum sie nicht auch für Kurzparkgebühren angewendet werden können. Eine gründlichere Reform könnte für mehr Klarheit sorgen und so Rechtsstreitigkeiten vermeiden.
Der Verwaltungsaufwand ließe sich reduzieren, wenn der Gesetzgeber in StVG und StVO die Grundlagen für ein rechtssicheres digitales Parkraummanagement und den Einsatz von Scan-Fahrzeugen schafft. Trotz Vereinbarung im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung hierzu bislang keinen Entwurf vorgelegt. Die Bundesländer sprechen dies in der Bundesrats-Stellungnahme zu Recht als Lücke an.
Ein weiterer Bereich, wo die neuen Ziele aus dem StVG-Entwurf bislang nur zögerlich aufgegriffen werden, ist die Verkehrsberuhigung. Die vorgeschlagene StVO-Reform überträgt die Kompetenz, die innerörtliche Höchstgeschwindigkeit festzulegen, nicht an die Kommunen und schöpft damit die Potenziale der Reform bei weitem nicht aus. Sie sieht stattdessen vor, dass Lücken zwischen bestehenden Tempo-30-Strecken geschlossen werden können und dass neben Schulen und Kitas auch im Umfeld von Spielplätzen, hochfrequentierten Schulwegen und Fußgängerüberwegen Tempo 30 leichter angeordnet werden kann. Andere Vorschläge, wie etwa das Einrichten von Schulstraßen oder Begegnungszonen, fehlen wiederum.
Der Elefant im Raum: Paragraf 45 StVO
Aus Planungs- und Verwaltungssicht ist der bestehende Paragraf 45 StVO an vielen Stellen unklar und unübersichtlich. Eigentlich soll er regeln, wie Straßenverkehrsbehörden „die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken beschränken“ können. In der Praxis erzeugt er aber neben einem hohen Abstimmungs- und Begründungsaufwand auch erhebliche Rechtsrisiken und ist somit nicht praxisgerecht. Der vorgelegte StVO-Entwurf ändert daran nichts.
Ein Grundproblem dieses Paragrafen ist Absatz 9, nach dem fast alle straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen „zwingend erforderlich“ sein müssen. Für manche Maßnahmen muss darüber hinaus eine „besondere Gefahrenlage“ bestehen. Das schränkt den Handlungsspielraum der Kommunen erheblich ein. Da helfen auch die neu ins StVG aufgenommenen Ziele nicht. Der einzige Weg, die Hürden für kommunales Handeln abzusenken, ist bislang, eine neue Ausnahme in diesen Absatz aufzunehmen. Dabei wird es schnell juristisch kompliziert.
Laut Vorschlag der Bundesregierung soll etwa ein Zebrastreifen ausnahmsweise angelegt werden dürfen, auch wenn keine „besondere Gefahrenlage“ gegeben ist, der Zebrastreifen muss aber weiterhin „zwingend erforderlich“ sein. Bei anderen Maßnahmen, wie etwa der Einrichtung einer Fußgängerzone als Verkehrsversuch, gelten beide Einschränkungen weiterhin in vollem Umfang – obwohl die StVO-Reform an anderer Stelle besagt, dass "angemessene Flächen" für den Fußverkehr nach den neuen StVG-Zielen eingerichtet werden können.
Es liegen bereits zahlreiche Vorschläge vor, wie der Paragraf 45 StVO neu geschrieben werden könnte, um für Klarheit, Verständlichkeit und Rechtssicherheit zu sorgen. Das würde nicht nur die Kommunen entlasten und die Verwaltungsabläufe effizienter machen; es würde auch das Handeln von Politik und Verwaltung für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer und glaubwürdiger machen.
Nach der Reform ist vor der Reform
Die Reform des Straßenverkehrsrechts wird neue Handlungsspielräume für Kommunen schaffen. So viel steht schon jetzt fest. Damit kann sie auf viele politische Werte einzahlen: Sie ist sozial, wenn sie den öffentlichen Verkehr und die Verkehrssicherheit für besonders Schutzbedürftige stärkt; sie ist wirtschaftlich effizient und baut Bürokratie ab, wenn sie Planungs- und Genehmigungsprozesse verschlankt; sie stärkt den Umwelt- und Klimaschutz, wenn sie Mobilität mit Bus, Bahn, Fahrrad, geteilten Fahrzeugen oder zu Fuß stärkt. Schließlich kommt sie dem Einzelhandel und den Kommunen insgesamt zugute, wenn sich mit ihr das Mobilitätsangebot und die Lebensqualität im öffentlichen Raum für alle verbessern lassen.
Wichtig ist dafür vor allem, dass im StVG die neuen Ziele gleichberechtigt neben der Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs verankert werden, so wie es der vorliegende Reformentwurf bereits vorsieht. In der aktuellen StVO-Reform wird es wohl nur eine punktuelle Umsetzung der neuen Ziele aus dem StVG geben, aber noch besteht die Möglichkeit, den Entwurf weiter zu verbessern und mehr Gemeinwohl auf die Straße zu bringen. Wie weitreichend und praktikabel die Änderungen für die Kommunen tatsächlich sind, wird sich schließlich auch in der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zeigen müssen. Dann heißt es: Nach der Reform ist vor der Reform, um die StVO konsequenter und juristisch klarer an den erweiterten Zielen des StVG auszurichten.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Tagesspiegel Background Verkehr & Smart Mobility: https://background.tagesspiegel.de/mobilitaet/die-unvollendete-reform
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