Freude am Umsteigen

Plädoyer für ein Bundesprogramm Mobilitätsmanagement

Die Bundesregierung spricht gerne davon, in der Verkehrspolitik auf Angebote statt auf Verbote setzen zu wollen. Doch sie schöpft noch lange nicht alle Mittel aus, um Menschen für nachhaltige Mobilität zu gewinnen. Mobilitätsmanagement ist zum Beispiel – neben Preissignalen, Infrastrukturen, Ge- und Verboten – ein effektives und preiswertes Instrument, um Verkehrsroutinen zu verändern. Es berücksichtigt die Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer, setzt auf Anreize, entwickelt Angebote und vermittelt Wissen.

Der Bund ist hier bisher kaum aktiv. Bliebe das so, würden einschneidende Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise wahrscheinlicher werden. Ein umfassendes Bundesprogramm Mobilitätsmanagement gehört deshalb auf die Agenda für die nächste Legislaturperiode. Dabei kommt es vor allem auf vier Punkte an.

1. Fördermittel verstetigen

Wer Gewohnheiten und Routinen verändern will, braucht einen langen Atem. Viele Projekte und Initiativen, die sich eine Änderung des Mobilitätsverhaltens zum Ziel setzen, sind jedoch kurzfristig und kleinräumig angelegt – egal ob Neukundenberatung für den öffentlichen Verkehr, Testprogramme für Lastenräder oder Pilotprojekte zum betrieblichen Mobilitätsmanagement in Behörden.

Langfristig angelegte Projekte passen nicht zur gängigen Förderpraxis der öffentlichen Hand. Nach zwei bis drei Jahren ist häufig Schluss.[1] Ein Beispiel ist das Aktionsprogramm „effizient mobil“, das die Deutsche Energie-Agentur (dena) von 2008 bis 2010 durchführte. Trotz vielversprechender Ansätze wurde es nach Ablauf des Förderzeitraums einfach eingestellt. Geblieben ist eine Abschlussbroschüre.

Der Bund sollte daraus lernen und, mit langfristiger Perspektive, einen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr für Mobilitätsmanagement im Bundeshaushalt einstellen, etwa eine Million Euro für jedes Bundesland. Das wäre ein großer Fortschritt und immer noch wenig im Vergleich zu den Milliarden, die für Infrastrukturen und Technologien bereitstehen.

Längere Förderlaufzeiten könnten damit verknüpft werden, dass Antragsteller wie zum Beispiel Kommunen, Unternehmen oder Verbände als Erstes ein Gesamtkonzept für die Veränderung des Mobilitätsverhaltens in ihrem Einflussbereich erarbeiten, in das sich einzelne Mobilitätsmanagementprojekte eingliedern lassen. Diese Grundlagenarbeit, für die Akteure vor Ort in der Regel keine Ressourcen haben, sollte der Bund zu 100 Prozent fördern. Für die Qualitätssicherung empfiehlt sich der Aufbau eines Evaluations- und Zertifikationssystems, auch um die Verbindlichkeit zu erhöhen.

2. Dauerhafte Strukturen aufbauen

Mit langfristiger Finanzierung lassen sich auch dauerhafte Strukturen aufbauen, die sich dem Mobilitätsmanagement in Kommunen, Behörden, Unternehmen oder Schulen widmen. Der Nationale Radverkehrsplan (NRVP) könnte mit seinem erfolgreichen Angebot an Netzwerkmöglichkeiten, Schulungen, Konferenzen und Wettbewerben als Vorbild für einen nationalen Rahmen für Mobilitätsmanagement dienen. Weitere Anknüpfungspunkte bieten das Nationale Kompetenznetzwerk für nachhaltige Mobilität (NaKoMo) und der gemeinnützige Verein Deutsche Plattform für Mobilitätsmanagement (DEPOMM).

Gleichzeitig ist eine starke institutionelle Verankerung in den Ländern und Regionen notwendig. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Hessen sind bereits mit eigenen Netzwerken aktiv. In Ländern, wo Mobilitätsmanagement noch nicht institutionell verankert ist, könnten bestehende Landeseinrichtungen diese Netzwerkarbeit übernehmen, bei der Entwicklung von Projekten und Kampagnen Beratung anbieten oder bei der Beantragung von Fördermitteln unterstützen. Wichtig sind vor allem klare Ansprechpartner und eine solide Ausstattung. Der Bund sollte dies finanziell unterstützen.

Während Bund und Länder einen nationalen Rahmen erarbeiten, braucht es auch in den Kommunen Verantwortliche für Mobilitätsmanagement. Jede Kommune sollte einen eigenen Aufgabenbereich für Mobilitätsmanagerinnen und Mobilitätsmanager schaffen. Für die Finanzierung dieser Stellen sollten Bund und Länder Mittel bereitstellen – mindestens für drei bis fünf Jahre, auch zur Verlängerung von befristeten Verträgen oder zur Aufstockung von Teilzeitstellen.

3. Kommunikation und Beratung stärken

Die Welt der Mobilität ändert sich rasch. Vielerorts entstehen neue Radwege, werden ÖPNV-Tarife attraktiver gestaltet oder steigen neue Dienstleister ins Geschäft ein. Professionelle Kommunikation – die über Pressemitteilungen und vereinzelte Webseiten hinausgeht – kann über diese neuen Angebote nicht nur informieren, sondern auch zum Experimentieren anregen und den Wandel von Einstellungen und Verhalten erleichtern. Hier braucht es Kreativität, Emotionalität und deutlich mehr Investitionen, um „Freude am Umsteigen“ zu vermitteln. Denn was in einer Gesellschaft als normal und erstrebenswert gilt, wird stark durch Kommunikation geprägt. Zum Vergleich: Die Automobilhersteller gaben 2019 rund 2,2 Milliarden Euro für Werbung in Deutschland aus.
 



Logo der Kampagne „Radlhauptstadt München“ am mittlerweile umgestalteten Marienplatz.

Ein besonders effektives Instrument ist Mobilitätsberatung, vor allem wenn sie Menschen erreicht, deren Lebensumstände sich verändern, etwa im Zuge einer Familiengründung, Pensionierung oder nach einem Wohnungswechsel. In Frankfurt am Main konnte zum Beispiel die Autonutzung unter Neubürgerinnen und Neubürgern durch gezieltes Marketing von 32 auf 18 Prozent gesenkt werden.[2]

Um dieses Potenzial zu nutzen, sollten Bund und Länder einfach abzurufende Fördergelder auflegen, die von Kommunen, Verkehrsunternehmen und anderen Akteuren zum Beispiel für Fahrradkampagnen oder Neubürger-Marketing eingesetzt werden können. Zur Finanzierung hätten Städte und Gemeinden die Möglichkeit, Einkünfte aus Parkgebühren für Kommunikation und Mobilitätsberatung einzusetzen. Zusätzlich könnte perspektivisch zum Beispiel auch eine fahrleistungsabhängige Pkw-Maut für diesen Zweck genutzt werden.

4. Modellprojekte realisieren

Neben der Kommunikation können Kommunen nachhaltige Mobilitätsalternativen auch konkret erfahrbar machen, etwa in Modellquartieren und Testprogrammen. So könnten zum Beispiel Haushalte und Quartiere über einen Zeitraum von mehreren Monaten autofreie Lebensstile erproben. Dafür sollten vor Ort die Aufenthaltsqualität, die Radinfrastruktur sowie der öffentliche Verkehr und Sharing-Angebote verbessert werden. So lassen sich die positiven Effekte autoreduzierter Stadtteile überzeugender vermitteln. Das Potenzial ist oft größer als gedacht: Zahlen aus Berlin belegen, dass nur rund 40 Prozent der Autobesitzerinnen und -besitzer objektiv auf einen Pkw angewiesen sind (siehe Abbildung).
 


Ein erfolgreiches Praxisbeispiel ist das Projekt „Deine Flotte“ in Berlin: Fünfzig Pkw-Nutzerinnen und Nutzer in einem Quartier konnten über einen Zeitraum von vier Wochen Mobilität ohne eigenes Auto testen. Im Gegenzug für den Autoschlüssel erhielten sie ein umfangreiches Mobilitätspaketpaket aus Freifahrten, Freiminuten und Tickets der fast zwanzig teilnehmenden Mobilitätsanbieter. Die Testmöglichkeit zeigte Wirkung: Fast jeder Dritte hatte nach Ablauf der Aktion den eigenen Pkw dauerhaft abgeschafft.

Solche lokalen Angebote sollten ebenfalls von Bund und Ländern finanziell unterstützt werden. Im Mittelpunkt dieser Modellprojekte steht, Routinen aufzubrechen, neue Erfahrungen zu ermöglichen und damit die Vorstellungen von Mobilität zu erweitern. Auch mehr Wissen über die wahren Kosten des Autobesitzes könnte für viele ein Anreiz sein, über Alternativen nachzudenken. Dort, wo es um unterschiedliche Interessen geht, etwa von Anwohnerinnen und Anwohnern, Gewerbetreibenden oder Umlandgemeinden, sollten auch Beteiligungs- und Konfliktlösungsprojekte finanziell gefördert werden.

Die Zeit ist reif für eine nationale Initiative

Mobilitätsmanagement hat noch keine starke Lobby. Hinter ihm stehen keine großen Industrieunternehmen, deren Schicksal sich auf Wahlen auswirken kann. Aber es ist in der Lage, Mobilität mit verhältnismäßig geringem Aufwand besser zu machen: komfortabler für Menschen, attraktiver für den öffentlichen Raum, schonender für Umwelt und Klima, preiswerter für die Volkswirtschaft. Das haben viele lokale Initiativen bereits bewiesen. Mit kreativer Kommunikation, praxisorientierter Beratung, maßgeschneiderten Angeboten und konsequenten Testprogrammen würde es vielen Menschen leichterfallen, auf nachhaltige Verkehrsalternativen umzusteigen.

Mobilitätsmanagement ist für viele Einrichtungen relevant, die diese Querschnittsaufgabe bisher nicht aus eigenen Kräften angehen konnten oder vielleicht noch gar nicht für sich entdeckt haben – von Kommunen und Verkehrsbetrieben bis zu Unternehmen und Schulen. Was fehlt, ist eine nationale Initiative, die mit langfristig angelegten Fördermitteln den Aufbau dauerhafter Strukturen und die Durchführung breit wirksamer Projekte ermöglicht. Deshalb ist es höchste Zeit, ein Bundesprogramm Mobilitätsmanagement auf die Agenda der Bundespolitik zu setzen.

Zuerst erschienen in einer leicht gekürzten Fassung als Standpunkt in Tagesspiegel Background Verkehr & Smart Mobility am 16.12.2020.

 

Passend zum Thema: Videomitschnitt eines Vortrags von Wolfgang Aichinger mit dem Titel „Neue Wege in die Verkehrswende: Impulse für Kommunikation zum Behaviour Change“, gehalten am 12.11.2020 beim Gemeinden Mobil Seminar 2020: Mobilitätswende - Gesagt, Getan! (31 Min.).

 

[1] Vgl. die lediglich auf 2,5 Jahre angelegte Förderrichtlinie „Betriebliches Mobilitätsmanagement" des BMVI www.mobil-gewinnt.de/Foerderung/Foerderrichtlinie

[2] Agora Verkehrswende (2019): Neue Wege in die Verkehrswende, S. 30.

 

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