Klimabilanz des Autos: Fokus auf vorgelagerte Wertschöpfungskette

Mit der Transformation der Automobilindustrie wächst die Bedeutung der CO2-Emissionen in den Liefer- und Wertschöpfungsketten. Ein Vergleich der Nachhaltigkeitsberichte von Automobilherstellern zeigt, wie weit diese das bereits im Blick haben. Für mehr Verbindlichkeit und Transparenz bedarf es einer international harmonisierten Methode zur Messung von CO2-Emissionen.

Meinen die Automobilhersteller es ernst mit ihrem Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen, müssen sie die Emissionen entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette senken. Bei der Dekarbonisierung des Straßenverkehrs steht zu Recht die Nutzungsphase im Vordergrund, aber mit dem Umstieg auf Elektromobilität fallen die Emissionen in den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfung mehr ins Gewicht. Denn, während die Emissionen in der Nutzungsphase mit wachsendem Anteil von Wind- und Sonnenenergie im Strommix sinken, entstehen bei einem batterieelektrischen Fahrzeug in der Herstellungsphase mehr Treibhausgasemissionen als bei einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Allein die Batterie ist für rund 30 bis 60 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, die bei der Herstellung eines Elektroautos entstehen.[1]

Doch auch diese Emissionen müssen für die Bekämpfung der Klimakrise bis Mitte des Jahrhunderts auf null gesenkt werden. Kapitalgeber und Regulierer fordern dies zunehmend von Unternehmen ein – beispielsweise über immer anspruchsvollere Standards für die Berichterstattung etwa in Form der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder der Battery Directive für die nachhaltige Batterieherstellung.

Der Anteil der eigenen Produktionsprozesse bei den Fahrzeugherstellern macht dabei etwa gerade mal ein Prozent der Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs aus, die Emissionen in der vorgelagerten Liefer- und Wertschöpfungskette derzeit etwa 25 Prozent – Tendenz steigend. Hier liegt also ein Schlüssel für eine klimaneutrale Automobilindustrie. Umso relevanter ist die Frage: Wo stehen Automobilhersteller hinsichtlich des Klimaschutzes in ihren Lieferketten?

Automobilhersteller adressieren Klimaschutz in Lieferkette

Die Nachhaltigkeitsberichte für das Jahr 2022 der weltweit größten Autohersteller zeigen, dass die meisten von ihnen anstreben, die Emissionen innerhalb ihrer Lieferketten zu verringern (siehe die unten angefügte Tabelle). Dabei setzen sie unterschiedliche Schwerpunkte.

Die Mehrheit der betrachteten Hersteller befasst sich in ihren Nachhaltigkeitsberichten mit Klimaschutz in der Lieferkette, doch nur wenige haben konkrete Ziele zur Reduktion der CO2-Emissionen gesetzt. Die meisten haben übergeordnete Klimaneutralitätsziele, aber keine speziell für die Lieferkette formuliert. Ausnahmen sind die Hersteller Mercedes-Benz, der ab 2039 ausschließlich bilanziell klimaneutrale Produktionsmaterialien beziehen will, und Honda, der CO2-Minderungsziele für seine Lieferanten in Japan vorgibt. BMW setzt zudem ein besonders umfassendes Ziel: Das Unternehmen nennt eine konkret angestrebte CO2-Minderung, inklusive Ziel- und Bezugsjahr.

Wenige Automobilhersteller nennen konkrete Maßnahmen für das Handeln ihrer Lieferanten, um für mehr Klimaschutz in der Lieferkette zu sorgen. Die meisten der untersuchten Unternehmen fordern ihre Lieferanten lediglich dazu auf, sich Ziele zur CO2-Minderung gemäß dem Pariser Klimaabkommen zu setzen und/oder entsprechende Maßnahmen umzusetzen.

Die Informationen in den Nachhaltigkeitsberichten liefern allerdings nur eine Momentaufnahme. Da viele Automobilunternehmen momentan verstärkt an Zielen und Maßnahmen in diesem Bereich arbeiten, ergibt sich fortlaufend ein neuer Sachstand. Vor allem aber fehlt es bislang an internationalen Standards, um die Emissionen beziehungsweise deren Minderung vergleichbar zu machen.

Automobilhersteller setzen vor allem auf eine erneuerbare Energieversorgung und nachhaltige Materialien

Für die Dekarbonisierung der automobilen Liefer- und Wertschöpfungsketten sind insbesondere drei Handlungsfelder relevant: Energieversorgung, Materialsubstitution und Effizienz sowie Recycling.

Die Umstellung auf erneuerbare Energie hat ein besonders großes Potential. Von den betrachteten Herstellern bemühen sich nach eigenen Angaben nur Hyundai, Mercedes-Benz und VW darum, dass ihre Lieferanten ihre Strombeschaffung auf erneuerbare Energien umstellen. VW entwickelt etwa mit seinen Lieferanten in China einen Fahrplan, um bis 2030 auf den ausschließlichen Bezug von Strom aus erneuerbaren Quellen umzustellen. BMW fordert die Verwendung von „Grünstrom“ von direkten Lieferanten und für CO2-intensive Bauteile und Materialien.

Der Einsatz von nachhaltigen Materialien und Produkten – also solchen aus erneuerbaren Rohstoffen und Sekundärmaterialien – hilft, Emissionen sowie negative ökologische und soziale Folgen darüber hinaus in der automobilen Wertschöpfung zu reduzieren. Nahezu alle untersuchten Hersteller geben an, den Anteil nachhaltiger Komponenten und Materialien an ihren Produkten erhöhen zu wollen. Manche setzen sich bereits konkrete Ziele, wenn auch teilweise mit vagen Formulierungen.

Honda plant beispielsweise, bis 2050 ausschließlich „nachhaltige“ Materialien einzusetzen, definiert den Begriff aber nicht näher. Mercedes-Benz formuliert die umfassendsten Ziele. Der Hersteller setzt sowohl eine Quote für Sekundärmaterialien – bis 2030 möchte er einen Anteil von 40 Prozent Sekundärmaterialien an der Pkw-Flotte erreichen – als auch spezifische Zielwerte für Stahl, Aluminium und Kunststoffe. Diese drei Materialien sind zusammen bereits für etwa 30 Prozent der Treibhausgasemissionen bei der Herstellung von Elektrofahrzeugen verantwortlich.[2]

Eine Reihe von Automobilunternehmen setzt zudem einen Fokus auf emissionsarmen Stahl. Stahl hat einen wesentlichen Anteil an den Emissionen der Fahrzeugherstellung. Hinzukommt, dass die Automobilindustrie eine der größten Abnehmerinnen von Stahl ist und somit die besondere Möglichkeit hat, als Leitmarkt die Transformation über die eigene Industrie hinaus voranzutreiben. Manche Automobilhersteller haben bereits konkrete Quoten für den Einsatz von emissionsarmem Stahl gesetzt, beispielsweise Ford und GM als Mitglieder der First Mover Coalition.

Allerdings steht die Transformation der Stahlindustrie noch am Anfang, weshalb unsicher ist, ob und wann eine ausreichende Versorgung mit klimaneutralem Stahl möglich sein könnte. Entsprechend beteiligen sich einige Fahrzeughersteller an Partnerschaften und Start-ups, um den Produktionshochlauf von klimaneutralem Stahl zu beschleunigen und sich frühzeitig verfügbare Mengen zu sichern. So hat etwa VW eine Absichtserklärung mit der Salzgitter AG für die Versorgung mit CO2-armem Stahl ab 2025 unterzeichnet. Mercedes-Benz hat darüber hinaus eine Vereinbarung mit einem Aluminiumhersteller getroffen, um bis 2030 nahezu CO2-freies Aluminium einzuführen.

Materialeffizienz und Recycling – das heißt insbesondere, Fahrzeuge so zu entwerfen und zu entwickeln, dass sich die verbauten Materialen möglichst wieder vollständig nutzen lassen – spielen aktuell noch eine eher untergeordnete Rolle in den Nachhaltigkeitsberichten der Hersteller. Die Relevanz dieser Bereiche nimmt für Hersteller aber zu, was sich unter anderem an Konzeptmodellen wie dem BMW i Vision Circular zeigt.

Es braucht neue Methode zur Erfassung von unternehmerischen CO2-Emissionen

Die Nachhaltigkeitsberichte sind Beleg dafür, dass die Automobilindustrie ein umfassendes Verständnis von Klimaschutz gewonnen hat und neben der Nutzungsphase auch die Fahrzeugherstellung in den Blick nimmt. Doch viele Ziele und Maßnahmen lassen Interpretationsspielraum und sind hinsichtlich ihrer Wirkung kaum zu vergleichen. Wie erfolgreich die Unternehmen beim Klimaschutz sind, ist aufgrund unterschiedlicher Ansätze und Methoden schwer nachvollziehbar. Das wiegt umso schwerer, da Investoren und Finanzierer ihre Entscheidungen zunehmend von Nachhaltigkeitskriterien abhängig machen.

Die Dekarbonisierung der Lieferketten hat das Potenzial, einen signifikanten Beitrag zur Transformation zu leisten – nicht nur in der Fahrzeugindustrie, sondern auch in den vor- und gelagerten Industriezweigen. Je besser vergleichbar und transparenter die Unternehmensstrategien sind, desto mehr Anreiz gibt es zum klimafreundlichen Handeln – und desto mehr Kapital kann in die Transformation der Automobilindustrie fließen. Die Politik kann hier unterstützen, indem sie standardisierte und international harmonisierte Methoden zur Messung von Klimaschutz fördert.

Handlungsempfehlungen zur Entwicklung einer Methode, die zu eindeutigen, reproduzierbaren und validierten Angaben unternehmerischer CO2-Emissionen führt, wurden im Rahmen des von der Bundesregierung einberufenen Expertenkreises zur Transformation der Automobilwirtschaft erarbeitet. Die automobilen Wertschöpfungsketten und Märkte sind so global wie wohl in kaum einem anderen Industriezweig. Vor diesem Hintergrund ist eine international harmonisierte Methode essenziell, damit eine harte Währung für den Klimaschutz in der Automobilindustrie entstehen kann. Gleichzeitig muss nach politischen Instrumenten und unternehmerischen Maßnahmen gesucht werden, die effektiv und effizient die Emissionen in der Liefer- und Wertschöpfungskette senken.

Download Tabelle: Ziele und Maßnahmen der weltweit größten Autohersteller in Bezug auf Klimaschutz und nachhaltige Materialien in der Lieferkette

 

[1] Agora Verkehrswende (2019): Klimabilanz von Elektroautos; Agora Verkehrswende (2021): Batteriestandort auf Klimakurs.

[2] Agora Verkehrswende (2019): Klimabilanz von Elektroautos, Abbildung 14

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