Wie Kohlendioxid zu einer harten Währung für den Klimaschutz werden kann

Die Automobilindustrie braucht zur Berechnung der Treibhausgasemissionen in den Lieferketten weltweit einheitliche Methoden, meinen Thomas Becker (BMW Group) und Christian Hochfeld (Agora Verkehrswende). Die bisherige Klimabuchhaltung müsse neu geschrieben werden.

Klimaschutz wird immer mehr zum Wettbewerbsfaktor für die Automobilindustrie. Kundinnen und Kunden erwarten klima- und umweltschonende Fahrzeuge. Investoren und Finanzmärkte verlangen Belege für Geschäftsstrategien im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen. Doch um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, sind noch einige Fragen zu klären.

Die Klimabilanz eines Fahrzeugs hat viele Facetten – von der Gewinnung und Verarbeitung der Rohstoffe über die Produktion von Teilen und des Fahrzeugs bis zum Betrieb im Straßenverkehr und der Entsorgung. Fortgeschritten sind die Mess- und Nachweisverfahren für Emissionen im Fahrbetrieb, denn für die Umweltbilanz des Autos war bisher entscheidend, „was hinten rauskommt“.

Mehr Transparenz in der Klimakommunikation ermöglicht auch einen fairen Wettbewerb

Schwieriger ist es mit den Emissionen, die in den Zulieferketten entstehen. Doch genau diese Emissionen bekommen mit der Umstellung auf Elektromobilität mehr Gewicht. Sie sind zentraler Bestandteil der Klimaverantwortung der Hersteller.

Elektroautos sind über ihren gesamten Lebenszyklus schon mit dem heutigen Strommix meist deutlich klimafreundlicher als Verbrenner, aber noch nicht frei von Emissionen. Diese fallen überwiegend bei der Fertigung an, insbesondere der Batterie. Der Weg zur Klimaneutralität führt über den Einsatz erneuerbarer Energien, energieeffizienter Herstellungsverfahren und die Wiederverwertung energieintensiver Materialien. Für jede Wertschöpfungsstufe können Unternehmen durch ihre Anforderungen an Lieferanten einen Anreiz für weniger CO2 setzen.

Die Europäische Union (EU) nimmt Unternehmen beim Klimaschutz vermehrt in die Pflicht und fordert mehr Verbindlichkeit in deren Klimakommunikation ein – auch um Greenwashing vorzubeugen und einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen. Es geht um Verordnungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, zur klimabezogenen Produktwerbung und zu Umweltkriterien bei Fahrzeugbatterien. Ein Grenzausgleichsregime soll dafür sorgen, dass für alle Waren, die in der EU angeboten werden, die gleichen CO2-Preise gelten – auch für Importwaren. Am Ende soll es möglich sein, die Emissionen jedes Fahrzeugs und jedes Unternehmens zu dokumentieren.

Es geht darum, die bisherige Klimabuchhaltung vom Kopf auf die Füße zu stellen

Doch bei der Erfassung der Emissionen bis zur Fahrzeugmontage wird es schnell unübersichtlich. Tausende Zulieferer aus der ganzen Welt sind involviert. Emissionsdaten sind meist nicht direkt verfügbar, die Regeln für deren Erhebung nicht klar definiert. Als Ersatz dienen statistische Durchschnittswerte. Wie diese Emissionsdaten erhoben und berechnet werden, macht einen großen Unterschied und wird zunehmend wirtschaftlich relevant.

Die Bundesregierung kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Treibhausgasemissionen in der Automobilindustrie zu einer harten Währung zu machen. Der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz einberufene Expertenkreis Transformation der Automobilwirtschaft hat dafür Empfehlungen erarbeitet. Im Grunde geht es darum, die bisher nur rudimentär vorhandene Klimabuchhaltung („carbon accounting“) vom Kopf auf die Füße zu stellen.

In Zukunft sollte nicht allein der Fahrzeughersteller anhand von begrenzt aussagekräftigen Kennzahlen die Emissionen für das Endprodukt zusammenstellen. Stattdessen stellt jedes Unternehmen in der Lieferkette mit seinem Produkt direkt vor Ort gemessene Daten zur Verfügung. Eine von Unternehmen der Industrie gegründete und von EU sowie Bundeswirtschaftsministerium unterstützte digitale Infrastruktur (Catena-X) sorgt dafür, dass die Daten einheitlich aufbereitet, gut geschützt und nur für Autorisierte leicht zugänglich sind. Lieferanten können auf jeder Stufe zeigen, wie viel CO2 ihr Produkt mitbringt und was grüner Strom oder recyceltes Material bewirkt. Das sorgt für Wettbewerb um Klimaschutz.

Nur international akzeptierte Verfahren können am Ende Handelskonflikten vorbeugen. Einzelne Herstellerregionen könnten sonst ihre eigenen Methoden bevorzugen und andere abwerten.

Um dies zu ermöglichen, sollte die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass weltweit harmonisierte und zertifizierbare Verfahren sowohl für die Erfassung der Emissionsdaten als auch für die Bewertung der Datenqualität entwickelt werden. Im Dialog ist sicherzustellen, dass die Methoden in der Automobilindustrie mit denen in anderen Branchen kompatibel sind, etwa in den Industrien für Stahl, Aluminium und Chemie. Gleiches gilt für die internationale Abstimmung, vor allem mit den großen Automobilmärkten innerhalb der EU sowie mit China, Japan, Korea und den USA.

Nur international akzeptierte Verfahren können am Ende Handelskonflikten vorbeugen. Einzelne Herstellerregionen könnten sonst ihre eigenen Methoden bevorzugen und andere abwerten. Der gegenseitige Handel würde erschwert, ein fairer Wettbewerb wäre nicht mehr gegeben. Das könnte insbesondere der exportorientierten Automobilwirtschaft in Deutschland schaden. Es wäre für sie dann schwieriger, die Entwicklung nachhaltiger Produkte nachzuweisen und Investoren für neue, klimaschonende Verfahren zu gewinnen.

Deshalb ist es jetzt Zeit für Politik und Wirtschaft, die Klimabuchhaltung in der Automobilwirtschaft voranzubringen.

Dieser Text erschien zuerst am 6.5.2024 als Gastbeitrag im Handelsblatt.

Die Autoren:
Thomas Becker ist Leiter Nachhaltigkeit und Mobilität bei der BMW Group. Christian Hochfeld ist Direktor von Agora Verkehrswende. Beide leiten die Arbeiten zur Dekarbonisierung der automobilen Wertschöpfungsketten im Expertenkreis Transformation der Automobilwirtschaft (ETA).

Der Expertenkreis hat im April 2024 Empfehlungen für die Entwicklung einer Carbon Accounting Methodik in den Lieferketten der Automobilindustrie veröffentlicht. Den Bericht finden Sie auf der Webseite des Expertenkreises.

 

 

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