EU-Autopaket: Lost in Transformation
Der Wettbewerb um die schnell wachsenden Märkte der Elektromobilität ist global in vollem Gang. Die im Autopaket von der EU-Kommission vorgeschlagene Revision der CO2-Flottengrenzwerte birgt die Gefahr, die Verunsicherung für den Automobilstandort Deutschland und Europa weiter zu verstärken. Aber den Zustand „Lost in Transformation“ kann sich Europa nicht länger leisten. Denn China wartet nicht darauf, bis Deutschland und Europa ihren Entwicklungsrückstand aufgeholt haben.
Einleitung
Von Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende
Großen Teilen der Automobil- und Zulieferindustrie in Deutschland und in Teilen Europas geht es schlecht. Das beschäftigt zurecht auch die Politik aufgrund der enormen volkswirtschaftlichen Bedeutung der Branche. Die Ursachen für die aktuellen Entwicklungen liegen dabei in erster Linie in der Handelspolitik der USA, dem wirtschaftlich bedingten Nachfragetief in Europa, den Produktivitätsdefiziten in den heimischen Produktionsstätten, der daraus folgenden Arbeitsplatzverlagerung zum Beispiel nach Osteuropa sowie dem Einbruch der Umsätze und Gewinne auf dem chinesischen Markt im Zuge des dortigen Markthochlaufs der Elektromobilität.
Vor diesem Hintergrund ist die Sorge groß, dass die Antriebswende zu batterieelektrischen Fahrzeugen die Branche überfordert und damit den Automobilstandort Deutschland massiv gefährdet. Deswegen diskutiert die Politik seit Monaten, wie sie die Automobilunternehmen am besten bei der Transformation unterstützen kann. Nun, kurz vor Weihnachten, präsentierte die Europäische Kommission ihr sogenanntes Autopaket. Die Stoßrichtung der Maßnahmen kam nicht zuletzt auf Drängen der Bundesregierung zustande, nachzulesen im Brief von Bundeskanzler Friedrich Merz an die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Im Paket enthalten ist auch der Vorschlag, die CO2-Flottengrenzwerte vorzeitig zu reformieren. Dies soll dazu beitragen, den Weg in die klimaneutrale Mobilität in Europa bis 2050 für die Wirtschaft zu „flexibilisieren“, ohne das Erreichen der Klimaziele zu gefährden. Die EU-Kommission schlägt vor, auch nach 2035 noch den Verkauf von Neufahrzeugen mit Verbrennungsmotor zuzulassen – sei es in Kombination mit einem Batterieantrieb in Plug-in-Hybriden oder Range-Extendern oder sogar als konventioneller Benziner oder Diesel. Damit reagiert sie auf den Ruf nach einem „Aus vom Verbrenner-Aus“. In der Regulierung wird dafür das CO2-Ziel 2035 um zehn Prozent abgeschwächt. Statt um 100 Prozent müssen Hersteller die Emissionen ihrer Neufahrzeuge bis dahin nur noch um 90 Prozent senken.
Keine Antwort auf die aktuellen Probleme der Industrie
In der vorliegenden Form wirft der Vorschlag mehr Fragen auf, als dass er Antworten liefert, vor allem mit Blick auf den industrie- und verbraucherpolitischen Mehrwert und den zielkonformen Klimaschutz. Er schafft zumindest in naher Zukunft erneut zusätzliche Unsicherheiten für eine Industrie, in der nichts mehr gefragt ist als Investitions- und Planungssicherheit.
Kurzfristig wird sich die Lage der deutschen und europäischen Automobilindustrie dadurch nicht verbessern, sind die Ursachen für die Krise doch aktuell ganz anders verortet. Nur so lässt sich erklären, dass in all den Debatten der vergangenen Monate von Seiten der Automobilindustrie nicht einmal die Frage beantwortet wurde, wie viel mehr Arbeitsplätze denn mit dem geforderten „Aus vom Verbrenner-Aus“ in Deutschland gehalten werden könnten.
Häufig wird das Argument angeführt, dass sich mit dem Verbrenner noch länger Gewinne machen ließen, die als Investitionen der Unternehmen in die Antriebswende dringend gebraucht würden. Doch dabei bleibt offen, wie das gelingen soll, wenn nun wieder verstärkt in mehrere Technologien parallel investiert wird – zumal in den letzten Jahren längst nicht jeder gewonnene Euro in Forschung und Entwicklung reinvestiert wurde.
Die wohlklingenden Versprechungen, die mit dem Abschwächen der CO2-Standards für Neufahrzeuge verbunden werden, sind wenig belastbar. Schwächere CO2-Standards sichern weder Wettbewerbsfähigkeit noch Arbeitsplätze, auch nicht, wenn sie mit Begriffen wie Flexibilität, Technologieoffenheit und Pragmatismus kaschiert werden. Im Gegenteil: Sie locken Investitionen in überholte Technologien und international schrumpfende Märkte.
Gerade bei dringenden, essenziell erforderlichen Investitionen in die Elektromobilität in Europa – Aufbau diversifizierter und resilienter Wertschöpfungsketten für Batterierohstoffe und -materialien, Aufbau einer starken Batterieindustrie in Europa, Aufbau und Netzintegration öffentlicher Ladeinfrastruktur für Pkw und Lkw – besteht das Risiko, dass diese noch weiter verzögert werden oder sogar ausbleiben, wie das in den letzten Monaten bereits mehrfach beobachtet werden konnte. Das Tempo in der Transformation der Industrie würde nachlassen. Der Verbrennungsmotor würde erst recht zum Klotz am Bein der Automobilindustrie.
Trotz Kompensation ist mit mehr Emissionen zu rechnen
Die EU-Kommission sieht vor, dass die Senkung der CO2-Standards mit Gegenleistungen der Hersteller verbunden wird. Wenn die Emissionen der Neufahrzeuge der Hersteller im Jahr 2035 nicht mehr als zehn Prozent der entsprechenden Emissionen von 2021 ausmachen, können sie durch die Verwendung von grünem Stahl (sieben Prozentpunkte) ausgleichen oder indem sie sogenannte Fuel Credits nutzen (drei Prozentpunkte). Letztere entstehen durch die Verwendung alternativer, treibhausgasarmer Kraftstoffe im Straßenverkehr.
Klimakommissar Wopke Hoekstra versprach am vergangenen Dienstag, dass die Klimaziele nicht in Mitleidenschaft gezogen würden. „Die CO₂-Emissionen werden bis 2035 um 100 Prozent reduziert, wenn man die Emissionsersparnisse durch die Markteinführung sauberer Kraftstoffe und die Verwendung von kohlenstoffarmem Stahl durch die Hersteller einrechnet.“ Es bleibt jedoch bisher unklar, wie genau saubere Kraftstoffe und grüner Stahl definiert werden und wie das Prinzip der Zusätzlichkeit gewährleistet werden kann. Geschieht das nur unzureichend, sind deutliche Mehremissionen unvermeidlich.
Da auch die Zulassung von Plug-in-Hybriden, Fahrzeugen mit Range-Extendern und „hocheffizienten“ Verbrennern nach 2035 möglich sein soll, ist in Summe kaum damit zu rechnen, dass die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu dem vorherigen Regulierungsvorschlag nicht steigen. Denn gerade die Fahrzeuge mit der Kombination aus Elektromotor und Verbrenner stoßen real deutlich höhere Emissionen aus, da sie viel häufiger mit dem Verbrenner betrieben werden, als das in der Regulierung angenommen wird. Erste Schätzungen des ICCT gehen im Zeitraum bis 2050 von mindestens einer Milliarde Tonnen Mehremissionen aus, die mit dem neuen Kommissionsvorschlag verbunden sein könnten.
Mehremissionen im Verkehr könnten zu höheren Preisen führen
Die Auflagen zur Kompensation von Mehremissionen ändern kaum etwas daran, dass schwächere CO2-Standards bei Neufahrzeugen grundsätzlich zu höheren CO2-Emissionen im Straßenverkehr führen können. Die Klimaziele im Verkehr sind damit noch stärker gefährdet als ohnehin schon. Schließlich müssen in Deutschland bis 2045 die Emissionen in allen Sektoren auf null sinken. Dieser Zusammenhang wird von der Politik bisher nicht adressiert. Wer die europäischen CO2-Flottengrenzwerte für Pkw abschwächt, muss sagen, wie er stattdessen den Pfad zur Klimaneutralität einhalten will. Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ist verfassungs- und völkerrechtlich garantiert. Eine Welt ohne natürliche Lebensgrundlagen nützt am Ende auch der Industrie nichts.
Sollten die Mehremissionen auch im Verkehrssektor selbst „kompensiert“ werden, müssten wohl die CO2-Preise auf Benzin und Diesel im Rahmen des europäischen Emissionshandels (ETS II) deutlich erhöht werden, wie das bereits mehrfach aus der Automobilindustrie gefordert wird. Das würde insbesondere die Haushalte mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen treffen, die sich den Umstieg auf die Elektromobilität bisher nicht leisten können. Das kann weder im Interesse der EU-Kommission noch der Bundesregierung sein.
Die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Erst wird die Hoffnung geweckt, dass Verbrennungsmotoren eine saubere Lösung sein könnten. Am Ende wird es aber nicht nur emissionsintensiver als erwartet, sondern vor allem: sehr teuer.
Wege aus der Verunsicherung
Was der Industrie nützen würde – und am Ende auch den Beschäftigten, den Konsumentinnen und Konsumenten sowie den natürlichen Lebensgrundlagen –, sind nicht schwächere CO2-Grenzwerte, sondern Unterstützung dabei, die Grenzwerte einzuhalten. So hätte sie deutlich bessere Chancen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren. Die entscheidende Frage ist deshalb: Wie lässt sich die Transformation zur Elektromobilität durch adäquate Unterstützung des Marktes beschleunigen? Ein dazu passendes Ziel könnte sein, den Anteil der vollelektrischen Fahrzeuge an den Pkw-Neuzulassungen in Deutschland bis zur Mitte der Legislaturperiode, also 2027, von zuletzt etwa 20 Prozent maximal zu erhöhen, mindestens auf über 50 Prozent.
Dafür gilt es möglichst schnell neue Kundengruppen für die Vorzüge der Elektromobilität zu gewinnen. Damit dies gelingt, hat die Bundesregierung bereits neue Förderprogramme für die Elektromobilität ab dem Jahr 2026 angekündigt. Die Signale der Bundesregierung sind damit höchst widersprüchlich. Sie drückt gleichzeitig aufs Tempo und auf die Bremse. Einerseits will sie den Kauf von Elektrofahrzeugen fördern, andererseits drängt sie auf schwächere CO2-Standards und wird damit die Transformation zur Elektromobilität verlangsamen. Das passt nicht zusammen und droht, weiteres Vertrauen bei Kundinnen und Kunden zu verspielen.
Dass es auch anders geht, zeigt die spanische Regierung mit dem Plan Auto+. Er beinhaltet ein umfassendes Programm, den Hochlauf der Elektromobilität in Spanien zu beschleunigen, ohne das Ambitionsniveau auf europäischer Ebene zu senken. Paradoxerweise sollen damit auch die in Spanien beheimateten Unternehmensteile der Volkswagen-Gruppe unterstützt werden, während in Deutschland mehr zeitlicher Spielraum für die Transformation der Volkswagen-Gruppe gegeben werden soll.
Auf der IAA in München haben deutsche Hersteller gezeigt, dass sie in der Lage sind, hochattraktive E-Modelle zu entwickeln. Die Zukunftstechnologie für Pkw ist elektrisch. Die weitweiten Wachstumsmärkte sind elektrisch. Daran sollten sich Politik und Industrie orientieren und Kurs auf Klimaneutralität halten. Dazu gehören möglichst ambitionierte und verlässlich ansteigende CO2-Standards für Neufahrzeuge. Sie geben den Unternehmen und Investoren die nötige Investitions- und Planungssicherheit und den Kundinnen und Kunden das nötige Vertrauen, um die Transformation zu beschleunigen. Das sollte bei dem nun anstehenden Trilog zwischen Kommission, Parlament und Rat berücksichtigt werden.
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