Warum wir Regeln für die Effizienz von Elektrofahrzeugen brauchen

E-Fahrzeuge sind nicht automatisch „öko“ und gehören deshalb reguliert. Dabei geht es um mehr als nur um CO2.

Dr. Günter Hörmandinger

Am 15. April hat der Rat der Europäischen Union formell neue Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Pkw beschlossen. Dieser muss bis 2030 um 37,5 Prozent sinken im Vergleich zu den Werten von 2021. Es geht dabei ausschließlich um die direkten Emissionen der Autos selber. Was in der Energieversorgungskette geschieht, also zum Beispiel in Raffinerien oder – für Elektrofahrzeuge – in Kraftwerken, ist anderswo geregelt und ist nicht Gegenstand dieser Gesetzgebung. Für die Automobilindustrie sind die neuen Standards der Anlass, nun endgültig in die Elektrifizierung des Pkw einzusteigen – anders seien die Standards nicht zu erreichen. Diese Elektrifizierung des Straßenverkehrs ist jedoch nicht unumstritten angesichts der Frage, ob elektrisch betriebene Fahrzeuge beim heutigen Strommix überhaupt besser für das Klima sind als ihre mit Benzin oder Diesel betriebenen Alternativen.

Elektrofahrzeuge haben schon heute einen Klimavorteil. Um den gesamten Klimaeffekt von Fahrzeugen zu bewerten, müssen alle relevanten Treibhausgasemissionen in Betracht gezogen werden, also nicht nur die des Fahrzeugs selber sondern auch jene in der Energieversorgungskette.  Dazu kommen die Emissionen in der Herstellung der Fahrzeuge und Komponenten sowie bei ihrer Entsorgung in einer sogenannten Lebenszyklusanalyse. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Herstellung und Entsorgung der Batterie. Eine soeben fertiggestellte Studie der Agora Verkehrswende1 kommt zu dem Ergebnis, dass Elektrofahrzeuge bei dem heutigen deutschen Strommix schon jetzt einen Klimavorteil gegenüber dem Verbrenner haben, wenngleich er stark von den Umständen abhängt. Dieser Vorteil steigt in dem Maße, wie die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu- und die aus fossilen Energien mit dem Kohleausstieg immer weiter abnimmt.

Also alles super? Leider noch nicht. Nachhaltigkeit umfasst nicht nur den Klimaschutz sondern geht noch weit darüber hinaus, wie in den 17 Nachhaltigkeitszielen2 der UN dargelegt, zu denen sich auch Deutschland bekannt hat. Mehrere davon sind für Elektrofahrzeuge relevant. Neben der Bekämpfung des Klimawandels gehören zu diesen Zielen auch nachhaltige Produktions- und Verbrauchsmuster sowie die Verringerung der globalen Ungleichheit sowohl innerhalb einzelner Länder als auch zwischen ihnen. Auch der Schutz der Ökosysteme an Land und im Meer ist hier ein Thema3.  All dies äußert sich mit Blick auf Elektroautos insbesondere über ihren Energie- und Ressourcenverbrauch.

Der Energieverbrauch von Elektrofahrzeugen bleibt ungeregelt. Erneuerbarer Strom ist und bleibt auf absehbare Zeit ein knappes Gut, und seine Produktion ist auch nicht gänzlich frei von Umweltbeeinträchtigungen. Daher sollte so wenig wie möglich davon verbraucht werden, für fossil erzeugten Strom gilt das sowieso. Deshalb sollten Elektrofahrzeuge ebenso wie konventionelle einem Sparsamkeitsprinzip folgen, wie wir bei Agora Verkehrswende schon früher dargelegt haben4. Für konventionelle Fahrzeuge ist das zunehmend der Fall: Die nun deutlich angeschärften europäischen CO2-Standards5 stellen wachsende Anforderungen an die Effizienz. Aber die EU-Gesetzgebung zielt eben ausschließlich auf die direkten CO2-Emissionen der Fahrzeuge. Die sind bei Elektrofahrzeugen gleich Null, egal ob es sich um einen städtischen Zweisitzer handelt oder um ein zwei Tonnen schweres Premiumfahrzeug mit nie gekanntem Beschleunigungsvermögen. Die Gesetzgebung kreiert somit ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen an elektrische und an konventionelle Fahrzeuge. Andere Energieverbraucher sind längst gesetzlichen Effizienzanforderungen unterworfen, von Elektrogeräten bis hin zu Gebäuden.  Für Elektroautos ist das nicht geschehen, einfach weil es bis vor kurzem kaum welche gab.

Das ist ein Problem, weil Marktkräfte eine Tendenz zu größeren Fahrzeugen fördern. Autokäufer möchten für ihr Geld gern so viel Auto wie möglich haben. Laufende Verbesserungen in der Produktion senken die Herstellungskosten. Und Motorleistung, Beschleunigungsvermögen und Höchstgeschwindigkeit bereiten vielen Autofahrern einfach Spaß. Deshalb führt der Wettbewerb der Hersteller aktuell zu immer größeren und stärker motorisierten Fahrzeugen, trotz der Einschränkungen durch die schon jetzt geltenden CO2-Standards. Auf Elektrofahrzeuge haben diese, wie gesagt, keine Wirkung. Hier kann sich die Marktdynamik des „größer, schneller, schwerer“ daher ohne gesetzliche Begrenzung realisieren. Zwar wirkt die Tatsache als ein Hemmnis, dass die Batterie der teuerste Teil eines Elektrofahrzeugs ist und noch lange bleiben wird. Man könnte daher erwarten, dass die Hersteller aus diesem Grund ohnehin versuchen werden, effizientere Fahrzeuge zu entwickeln. Auch das Bemühen um größere Reichweiten wirkt als Motivation, das Fahrzeug effizienter zu gestalten – allerdings können diese auch durch größere Batterien erreicht werden. Insgesamt ist die beschriebene Marktdynamik eben trotzdem am Werk.

Die neue Normalität: Was ist ein normales Auto? Elektroautos werden erst seit dem Marktdurchbruch des ersten Tesla als begehrenswertes Konsumgut wahrgenommen. Der war bewusst auf Superleistung ausgelegt. Diese grundlegende Veränderung in der Wahrnehmung von Elektrofahrzeugen ist ein bleibendes Verdienst von Tesla-Gründer Elon Musk, aber sie hat auch dazu geführt, dass übermotorisierte Batteriefahrzeuge als normal gelten, wenn auch als Luxusgut. Schließlich ist es in der Automobilindustrie übliche Praxis, neue und anfänglich teure Technologien zunächst in den oberen Marktsegmenten einzuführen, weshalb viele Autohersteller leistungsstarke Premium-Stromer mit gewaltigen Batteriepaketen angekündigt haben. Insgesamt verstärkt dies die Tendenz zum elektrischen Muskelauto.

Ein neues Schlupfloch. Die CO2-Grenzwerte gelten für den Durchschnitt der Fahrzeuge, die ein Hersteller verkauft. Da Elektrofahrzeuge als Nullemittenten zählen, senken sie den Flottendurchschnitt erheblich. Ein Beispiel: Angenommen, der Grenzwert für einen Hersteller beträgt 100 Gramm CO2 pro Kilometer6 im Jahr 2023. Der Hersteller möchte aber als Teil seiner Flotte Premiumlimousinen mit 200 Gramm pro Kilometer verkaufen. Dann kompensiert jedes verkaufte Batteriefahrzeug genau eine Premiumlimousine, denn die beiden zusammen haben dann gerade einen CO2-Durchschnitt von 100 Gramm pro Kilometer7. Wenn dieses Elektrofahrzeug selbst ein tonnenschweres Premiumauto ist, dann wächst insgesamt die Masse und der Ressourcenverbrauch der Fahrzeugflotte, während der CO2-Durchschnitt auf ein rechnerisch legales Maß heruntergemittelt wird. Glaubt jemand im Ernst, dass das auf Dauer nachhaltig sein kann? Nun hat bereits ein Hersteller, nämlich VW, angekündigt, seine Flotte auf volle Elektrifizierung vorzubereiten. Nach 2026 werden dort nur mehr Plattformen entwickelt, die CO2-neutrale Fahrzeuge ermöglichen8 – sprich elektrifiziert sind. Bei voller Elektrifizierung ist die „Schönrechnung“ des CO2-Durchschnitts kein Thema mehr, die unregulierte Masse, Größe und Leistung aber nach wie vor.

Stört das jemanden? Man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier schon wieder der moralische Zeigefinger am Werk ist, nur um den Menschen den Fahrspaß zu verderben. Leider gibt es aber tatsächlich gute Gründe, die gegen ein ungehemmtes Wachstum der Fahrzeugparameter sprechen. Das gilt zunächst wie beschrieben für die Energieeffizienz und damit für den Klimaschutz.  Ein weiteres Thema ist der Ressourcenverbrauch, der mit der Fahrzeug- und Batteriegröße ansteigt. Der „Earth Overshoot Day“ hat 2018 den 1. August erreicht. Das ist der Tag in einem Jahr, an dem die Menschheit rechnerisch die Ressourcen aufgebraucht hat, die bei nachhaltiger Nutzung eigentlich für das ganze Jahr reichen sollten. Dieser Tag ist Jahr für Jahr auf ein früheres Datum gerutscht9. Das ist nicht der nachhaltige Verbrauch, den das UN-Ziel anstrebt. Dazu kommt, dass die Weltbevölkerung weiterhin wächst. Sie hat im vergangenen Jahr die Zahl von 7.6 Milliarden Menschen überschritten10 und könnte um die Mitte des Jahrhunderts 10 Milliarden oder mehr erreichen. Es gibt – entsprechend dem UN-Ziel, die globale Ungleichheit zu verringern – keinen Grund, diesen Menschen den Entwicklungsstand zu verweigern, den wir uns selber gönnen. Alltagsrennwagen passen in ein solches Bild einfach nicht. Schließlich haben Straßenfahrzeuge auch noch andere Umweltauswirkungen, die durch Elektrifizierung alleine nicht gemindert werden. Zum Beispiel lindert diese kaum den Verkehrslärm, weil der von einem Auto verursachte Lärm schon bei moderaten Geschwindigkeiten hauptsächlich durch das Rollgeräusch der Reifen und das Windgeräusch verursacht wird11. Höheres Gewicht und stärkere Beschleunigung können beides tendenziell sogar noch verstärken. Auch der Reifenabrieb, eine der wichtigsten Quellen von Mikroplastik in der Umwelt, sowohl an Land als auch im Wasser12, wird durch starke Beschleunigungs- und Bremsvorgänge noch verstärkt.

Der Zeitpunkt, die Regulierung von Elektrofahrzeugen vorzubereiten, ist jetzt. In manchen Kreisen hört man das Argument, die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte sei zu neu und zu unsicher, um sie jetzt schon mit gesetzgeberischen Auflagen zu belasten. Diese Mahnung wird besonders vor dem Hintergrund der noch frischen Erinnerungen an die heftigen Auseinandersetzungen um die neuen EU-Grenzwerte ausgesprochen. Derweil ist die Industrie auf die Kosten, Kundenakzeptanz und Marktrisiken des Übergangs auf E-Fahrzeuge konzentriert und will verständlicherweise von Einschränkungen nichts wissen. Aber jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem sich die Hersteller quasi neu erfinden. Was jetzt als die neue Normalität festgelegt wird, geht in die Investitions- und Produktentscheidungen ein, die auf Jahrzehnte das Bild bestimmen werden. Die neuen EU-Standards sehen eine Revision im Jahr 2023 vor. Das verschafft die Zeit, um gründlich über die Rolle der E-Autos nachzudenken. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um mit der Vorbereitung von Regelungen für die Effizienz von Elektrofahrzeugen zu beginnen, denn das Gesetzgebungsverfahren wird ohnehin Jahre in Anspruch nehmen. Wichtig ist ein frühzeitiges Signal an die Industrie, in welche Richtung die Entwicklungsarbeit in diesem Segment gehen soll. Die Art und Weise der Regelung muss sorgfältig überlegt sein, auch was den gesetzgeberischen Rahmen betrifft (z.B. Typzulassung, Flottenemissionen, Energieeffizienz und Ressourceneffizienz, die alle verschiedenen Rechtsinstrumenten unterliegen und von verschiedenen Behörden verwaltet werden).  Zunächst sollte sichergestellt werden, dass der Energieverbrauch von Elektrofahrzeugen durch das europäische Typzulassungssystem realistisch erfasst wird, um eine Wiederholung der Erfahrungen mit konventionellen Fahrzeugen zu vermeiden, bei denen zum Teil gravierende Diskrepanzen zwischen Testergebnis und wirklichem Energieverbrauch beobachtet wurden13. Die von der europäischen Kommission zu entwickelnden Verfahren für die Verifizierung der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs im wirklichen Fahrbetrieb sind dafür das geeignete Instrument14.

Fazit: Zur Nachhaltigkeit müssen alle beitragen – auch Elektroautos. Die Wahlfreiheit der Konsumenten und die Freiheit der Industrie in der Entwicklung ihres Angebots sind wichtige Güter unserer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft. Aber mindestens ebenso wichtig ist die Erhaltung des Planeten als Habitat auch für zukünftige Generationen. Die beschriebenen Konfliktfelder im Klimaschutz, im Energie- und Ressourcenverbrauch und in anderen Nachhaltigkeitszielen sind schon jetzt absehbar. Deshalb kann die Entwicklung von Elektroautos nicht ungesteuert bleiben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht darum, den Übergang in die Elektromobilität zu bremsen, im Gegenteil. Aber gerade wenn wir die Entwicklungen beschleunigen, müssen wir uns möglichst sicher sein, dass die Richtung stimmt. Wir müssen jetzt anfangen, die richtigen Signale zu setzen, anstatt Hoffnungen auf ein vermeintliches Paradies der Elektro-Rennwagen zu nähren und dann wieder einmal Jahre mit fruchtlosen politischen Auseinandersetzungen zu verlieren, während derer die ungewollten Nebenwirkungen nur schlimmer werden. Auch wenn das konkrete „Wie“ zunächst noch offen bleibt, sollte sehr deutlich werden, dass künftig auch elektrisch angetriebene Fahrzeuge Effizienzanforderungen unterliegen werden. Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs birgt große Chancen, sowohl für die Umwelt als auch für den Industrie- und Exportstandort Deutschland. Sie birgt aber auch Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen. Noch haben wir die Möglichkeit, ihnen zu begegnen.

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3 Die genannten Ziele sind Nr. 10 (Verringerung der Ungleichheit zwischen und innerhalb von Staaten), Nr. 12 (nachhaltige Produktions- und Verbrauchsmuster),  Nr.13 (Bekämpfung des Klimawandels), Nr. 14 (Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Meere), und Nr. 15 (Schutz, Wiederherstellung und nachhaltige Nutzung der Ökosysteme an Land).  Zusätzlich sind auch Nr. 9 (Inklusive und nachhaltige Industrialisierung und Innovation) und Nr.11 (nachhaltige Stadtentwicklung) relevant.  Diese sind aber für das hier entwickelte Argument von geringerer Bedeutung.

6 Der Grenzwert ist für jeden Hersteller anders, weil er vom Durchschnittsgewicht der verkauften Fahrzeuge abhängt. 

7 Das Beispieljahr 2023 wurde einfachheitshalber gewählt.  In den Jahren 2020 bis 2022 würde das verkaufte Elektroauto – aufgrund sogenannter „Supercredits“ – sogar die Emissionen von mehr als einer solchen Premiumlimousine kompensieren.

14 Artikel 12 der revidierten Verordnung über die CO2-Emissionen von PKW und leichten Nutzfahrzeugen

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