Unsichtbare Parkplätze nutzbar machen
Gegen Parkplatzmangel auf den Straßen hilft die bessere Auslastung bereits bestehender Parkplätze auf Privatgrund. Das Potenzial kann mit einer einfachen Methode abgeschätzt werden.

Einleitung
Von Wolfgang Aichinger, Projektleiter Kommunale Klima- und Verkehrspolitik, Agora Verkehrswende, und Prof. Dr.-Ing. Volker Blees, Hochschule Rhein-Main
Kein Parkplatz-, sondern ein Verteilungsproblem
Aktuell gibt es in Deutschland mehr als 49 Millionen Pkw, fast neun Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.[1] Das bedeutet auch, dass immer mehr Autofahrerinnen und Autofahrer um die begrenzte Anzahl an Straßen-Parkplätzen konkurrieren. Zugleich können nicht einfach immer mehr Autos im öffentlichen Raum abgestellt werden: Städte und Gemeinden müssen auch dafür Sorge tragen, dass Rettungswege frei sind[2] und Rad- und Gehwege[3] nicht von geparkten Autos blockiert werden. Für die Straßenbegrünung oder die Anlage von Radwegen und Lieferzonen dürften zudem in Zukunft weitere Stellplätze in Anspruch genommen werden.
Der vielfach empfundene Parkplatzmangel ist aber nur auf den ersten Blick einer. Vielmehr besteht ein Verteilungsproblem: Viele Fahrzeuge könnten auch auf privatem Grund abgestellt werden – sei es auf dem eigenen Grundstück, oder etwa auf einem in der Nähe des Wohnorts angemieteten Stellplatz. Der Schlüssel dazu ist die Mehrfachnutzung – wie Agora Verkehrswende 2024 bereits im Papier Parken nach Feierabend und Ladenschluss herausgearbeitet hat. Viele Stellplätze auf Hinterhöfen, in Tiefgaragen oder an Supermärkten stehen ganz oder über längere Zeit leer, weil sie bislang nicht von Externen angemietet werden können.
Die Nutzung vorhandener Stellplätze ist deutlich günstiger als die oftmals diskutierte Errichtung neuer Quartiersgaragen, die häufig an zu hohen Kosten scheitert. Mittlerweile haben sich mehrere Dienstleister auf dem Markt etabliert, die zwischen den Eigentümer:innen von Parkplätzen sowie Interessierten vermitteln.[4]
Parkraumreserven im privaten Raum – die große Unbekannte
Um Parkraumreserven im privaten Raum erschließen zu können, ist der erste Schritt, das theoretische Stellplatzangebot zu ermitteln.[5] Denn zentral ist die Frage, ob und in welchem Umfang in einem Stadtquartier bislang nur zeitweise oder gar nicht genutzte private Stellplätze tatsächlich vermietet werden könnten.
Parkraumreserven bestehen vielerorts, sie sind Autofahrenden aber meist nicht bekannt und unzugänglich. Anders als im Straßenraum, wo Parkmöglichkeiten frei zugänglich und einsehbar sind, liegen private Stellplätze häufig im Verborgenen, denn nicht öffentlich zugängliche Grundstücke können nicht ohne weiteres betreten werden. Daher ist ein kombiniertes Vorgehen aus Zählungen und Schätzungen des Stellplatzangebots erforderlich.
Es braucht Klarheit über vorhandene Stellplätze
Kommunen oder Dienstleister könnten beispielsweise folgende Schritte unternehmen, um sich Klarheit über vorhandene Stellplätze zu verschaffen:
- Zählung der vom öffentlichen Raum aus sichtbaren Stellplätze sowie von Stellplätzen auf öffentlich zugänglichen Grundstücken (zum Beispiel Parkplätze von Supermärkten und öffentlichen Einrichtungen);
- Zählung der in Luftbildern erkennbaren Stellplätze; wenn im Luftbild nicht klar ist, ob ein Teil der Fläche zum Abstellen von Kfz geeignet beziehungsweise vorgesehen ist, kann mit unteren und oberen Abschätzungen je Grundstück operiert werden;
- Schätzung der Stellplatzanzahl in Tiefgaragen und Parkhochbauten auf Basis deren Gesamtflächen sowie durchschnittlicher Flächenbedarfe je Stellplatz; bei Wohngebäuden kann die Anzahl der Wohnungen (= Klingelschilder) zusätzlich zur Plausibilisierung herangezogen werden.[6]
Mit Blick auf die Möglichkeiten einer Stellplatz-Mehrfachnutzung müssen darüber hinaus weitere Informationen erhoben werden:
- Stellplatztyp (Tiefgarage, ebenerdiger Stellplatz, …)
- Immobiliennutzung (Wohnen, Büros, Einzelhandel, …)
- Gegebenenfalls die Art der Zufahrtsregulierung (Schranke, Tor, …)
- Gegebenenfalls die erkennbare Nutzungsbeschränkung („Nur für Kunden“, Stellplatzzuteilung per Kfz-Kennzeichen, …).
Stellplätze, deren Bewirtschaftung erkennbar unrealistisch oder unwirtschaftlich wäre (zum Beispiel von Eigentümern genutzte Einzelgaragen), können bei den weiteren Betrachtungen außen vor bleiben.
Hinzu kommt die Erhebung beziehungsweise Schätzung der Auslastung. Diese kann je nach Art der Liegenschaft stichprobenhaft erhoben werden – oder, wenn kein Zugang möglich ist, wiederum nur geschätzt werden.
Mit diesem Ansatz erhalten Kommunen und Dienstleister, die Parkplätze vermitteln wollen, mit vertretbaren Unsicherheiten eine Grundlage, um Potenziale für eine Mehrfachnutzung privater Stellplätze zu aktivieren.
Potenziale für Mehrfachnutzung – das Kölner Agnesviertel als Fallbeispiel
Die ampido GmbH, ein Dienstleister für die digitale Bewirtschaftung privater Stellplätze, hat im Frühsommer 2025 das Stellplatzangebot im Kölner Agnesviertel nach den oben formulierten Prinzipien erhoben, um exemplarisch die Potenziale für eine Mehrfachnutzung auszuloten (die Ergebnisse sind zu finden unter www.mehrfachnutzung.org).
Das Agnesviertel liegt nördlich der Innenstadt, ist knapp einen Quadratkilometer groß und hat rund 18.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Im Viertel gibt es aktuell 2.750 Straßenparkplätze, von denen rund 250 für das Freihalten von Rettungswegen entfallen müssen.[7] Kurzzeitparken kostet im Agnesviertel aktuell fünf Euro pro Stunde, die Kosten für einen Bewohnerparkausweis liegen zwischen 100 und 120 Euro pro Jahr. Die durchschnittlichen monatlichen Mietpreise für einen festen privaten Stellplatz liegen in einer Größenordnung von 120 Euro netto (siehe Grafik).
Aus den Ergebnissen der Untersuchung lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
- Zählung verursacht nur geringen Aufwand
Die Erhebung der privaten Stellplätze im Quartier wurde innerhalb von zwei Wochen erstellt. Die Stellplatzauslastung wurde an sieben exemplarischen Immobilienobjekten mit unterschiedlichen Nutzungen, deren rund 300 Stellplätze öffentlich einsehbar sind, an sieben beziehungsweise 14 aufeinanderfolgenden Tagen jeweils zu vier festgelegten Zeitpunkten (08:00, 12:00, 16:00 und 21:00 Uhr) erfasst. Die Erhebung, Aufbereitung und Auswertung konnten mit geringem Arbeitsaufwand umgesetzt werden.[8]
- Private Stellplätze sind in großem Maße vorhanden – und oft unbelegt
Neben den rund 2.750 Straßen-Stellplätzen im Kölner Agnesviertel sind den Erhebungen zufolge ca. 1.875 Stellplätze auf Privatgrundstücken vorhanden. Nach Abzug von gut 190 Stellplätzen, die sich nicht für eine Mehrfachnutzung eignen, und unter Berücksichtigung der schätzungsbedingten Unsicherheiten bei der Erhebung ergeben sich zwischen 1.460 (konservative Schätzung) und 1.910 (optimistische Schätzung[9]) theoretisch nutzbare Stellplätze (Mittelwert 1.680).
Die Anlagen, deren Auslastung exemplarisch erfasst wurden, weisen erhebliche Leerstände auf: Im Mittel sind mehr als zwei Drittel der Stellplätze (68,3 Prozent) nicht belegt. In den Abendstunden ist die Verfügbarkeit von Stellplätzen mit über 73 Prozent sogar noch höher. Die niedrige Auslastung zeigt sich sowohl bei Wohn- als auch Bürogebäuden. Wendet man die genannte mittlere Leerstandsquote auf das theoretische Potenzial an, so könnten zwischen 990 und 1.300 für eine Mehrfachnutzung gewonnen werden – selbst im konservativen Szenario fast viermal so viele wie für die Rettungswege entfallen müssen (siehe Grafik).

- Das Potenzial geht weit über das Parken an Supermärkten hinaus
Die überwiegende Zahl der identifizierten Stellplätze liegt auf Grundstücken mit Wohn- oder mischgenutzten Gebäuden. Beinahe 300 Stellplätze finden sich auch bei öffentlichen Einrichtungen wie Behörden oder Schulen. Hier kann die Verwaltung auf kurzem Wege Kontakt mit den Verantwortlichen herstellen, die diese Stellflächen bewirtschaften. Eine im Vergleich geringe Zahl an Stellplätzen im Agnesviertel liegt an Supermärkten. Die Erhebung zeigt, dass es sich lohnt, den Blick über Supermarktparkplätze hinaus auszuweiten. Dies auch, weil abseits von Supermärkten die (bau-)rechtlichen Anforderungen (etwa hinsichtlich einer Nutzungsänderung) niedriger sind.
- Vergleichbare Ergebnisse sind auch andernorts erwartbar
Das Agnesviertel ist ein für viele Großstädte typisches verdichtetes Innenstadtquartier. Die Gebäude- und Nutzungsstruktur ist stark gemischt, unter anderem mit mehrgeschossigen Wohngebäuden, Gewerbe, Behörden und Bildungseinrichtungen. Auch das Alter der Gebäude ist gemischt, wobei Bauten aus der Gründerzeit sowie den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit überwiegen. Diese Struktur findet sich auch in vielen anderen Städten, was darauf schließen lässt, dass es auch dort Potenzial für Stellplatz-Mehrfachnutzungen gibt.
Wie aus dem Potenzial eine tatsächliche Mehrfachnutzung wird
Die Erhebungen im Kölner Agnesviertel zeigen angesichts der reinen Menge von Stellplätzen ein großes theoretisches Potenzial[10] für Mehrfachnutzungen im privaten Raum. Die stichprobenhaften Analysen der Auslastung legen überdies bemerkenswerte Leerstände und damit ein erhebliches technisches Potenzial nahe.
Im nächsten Schritt muss das realisierbare Potenzial geprüft werden: Welche Teile des Leerstandes lassen sich mit vertretbarem Aufwand für Dritte erschließen (wirtschaftliches Potenzial) und welche Teile sind die Flächeneigentümer bereit, einer Mehrfachnutzung zugänglich zu machen (praktisches Potenzial)?
Aus Sicht der Eigentümer und Eigentümerinnen können zusätzliche Einnahmen für eine Mehrfachnutzung sprechen. Aktuell liegt die durchschnittliche monatliche Festmiete für einen privat genutzten Stellplatz im Agnesviertel bei rund 120 Euro netto. Bei einer Mehrfachnutzung über einen Dienstleister kann neben der Festmiete (jedoch ohne feste Stellplatzzuteilung) auch ein umsatzabhängiges Modell mit variabler Stellplatzzuteilung und potenziell höheren Erlösen gewählt werden. Wo dies umgesetzt wird (wie aktuell bei einigen Supermarktparklätzen in Köln) fallen pro Nacht vier Euro und pro Monat 30 Euro Gebühren für die die Nutzung an.[11]
Das Stellplatzangebot im Agnesviertel ist auf viele kleinere Einzelflächen aufgeteilt und liegt meist in Innenhöfen und Tiefgaragen von Wohnhäusern und gemischt genutzten Gebäuden. Ein gutes Drittel der Stellplätze liegt auf Anlagen mit 21 bis 50 Stellplätzen. Damit diese Anlagen für eine Mehrfachnutzung gewonnen werden können, müssen in der Initialphase zahlreiche Einzelkontakte mit den Eigentümern der Liegenschaften aufgenommen werden. Prädestiniert für diese Aufgabe ist eine Kooperation zwischen Kommune und Dienstleistern. Die Kommune unterstützt mit der Mehrfachnutzung stadt- und verkehrsplanerische Ziele. Die Dienstleister sind für den Betrieb der mehrfachgenutzten Stellplatzanlagen zuständig und können ihr technisches und wirtschaftliches Know-how einspeisen und mit bereits funktionierenden Beispielen die Eigentümer überzeugen.
Fazit
Viele Städte, Initiativen und Unternehmen arbeiten bereits an der Aktivierung von leerstehenden Privat-Stellplätzen mit dem Ziel, dass diese von externen Nutzerinnen und Nutzern angemietet werden können. Die Fallstudie der ampido GmbH zeigt, dass die Potenziale für eine Mehrfachnutzung mit einfachen Mitteln hinreichend genau abgeschätzt werden können. Die vorgestellte Methodik kann auch von den städtischen Verwaltungen angewendet werden, was Zeit und vor allem Kosten für Gutachten spart. Hinweise über Parkplatzpotenziale können aber auch durch Initiativen oder die Bevölkerung gesammelt und an die Verwaltung oder Medien herangetragen werden. Die Prüfung der grundsätzlichen Umsetzbarkeit sowie eine Kontaktaufnahme zu den Eigentümerinnen und Eigentümern kann durch interessierte Dienstleister in Kooperation mit der Verwaltung erfolgen.
Die Effizienz beim Stellplatzneubau und die Auslastung bestehender Flächen kann deutlich gesteigert werden. Statt leerstehender Stellplätze braucht es Konzepte für deren Mehrfachnutzung – im Wohnungsbau, aber etwa auch bei öffentlichen Bauten. Voraussetzung ist unter anderem eine bessere Zusammenarbeit von Bau- und Verkehrsämtern und ein Zugehen auf die Eigentümerinnen und Eigentümer von Liegenschaften. In den Städten gibt es viele unsichtbare Stellplätze. Um die wahrgenommene Parkplatznot zu lindern und den öffentlichen Raum zu entlasten, tun Kommunen gut darin, diese Stellplätze sicht- und nutzbar zu machen.
[2] https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/27552/index.html
[3] https://www.bverwg.de/de/pm/2024/28
[4] Dazu zählen unter anderem die Firmen Ampido, Wemolo oder Peuka.
[5] Von wem hierbei die Initiative ausgehen kann, wird im Abschnitt „Wie aus dem Potenzial eine tatsächliche Mehrfachnutzung wird“ kurz umrissen.
[6] Je nach Methode ist die Verlässlichkeit der gewonnenen Zahlen unterschiedlich. Vor allem bei Schätzungen auf Grundlage von Gebäudeflächen oder Wohnungsanzahlen sind Abschläge empfehlenswert. Die tatsächliche Zahl der Stellplätze kann dann sowohl nach oben als auch nach unten abweichen.
[7] Dafür ist laut Straßenverkehrsordnung eine Mindestfahrbahn von 3,05 Meter erforderlich. Dieser Wert wird aktuell an zahlreichen Stellen unterschritten, da geparkte Fahrzeuge die Fahrbahnbreite einschränken.
[8] Die Zählung der von der Straße aus einsehbaren privaten Stellplätze im Quartier erforderte etwa 16 Arbeitsstunden, die anschließende Luftbildauswertung rund acht Stunden. Unterstützend wurde die Seite www.mehrfachnutzung.org genutzt, die automatisierte Auswertungen erstellt. Der größte Aufwand fällt für die Erhebung der Stellplatzbelegung an. In jeweils einer Arbeitsstunde können zwar mehrere Standorte erfasst werden. Die Erhebung sollte aber an mehreren Tagen hintereinander erfolgen – im Agnesviertel waren es 14 Tage.
[9] Aufgrund der beschriebenen, schätzungsbedingten Unsicherheiten ist es möglich, dass tatsächlich mehr Stellplätze im Quartier vorhanden sind, als in der ersten Erhebung festgestellt.
[10] Zu den Potenzialbegriffen siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Energieflexibilit%C3%A4t#Definition_und_Abgrenzung_der_Potenzialbegriffe
[11] Mehr zu den Pilotvorhaben in zwei Kölner Stadtteilen unter https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/27768/index.html
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