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Format
Blog
Date
14. August 2025

Die Provinz fährt vor

Wie autonome On-Demand-Shuttles den ÖPNV aufs Land bringen

Einleitung

Von Philipp Kosok, Projektleiter Öffentlicher Verkehr bei Agora Verkehrswende

On-Demand-Verkehre befinden sich nach einer ersten geförderten Versuchsphase in fast 100 Kleinprojekten derzeit in einem kritischen Zustand. Zu hoch sind die Kosten für die Kommunen und es fehlt an Personal. Nun soll der Start größerer autonomer Flotten im realen Betrieb eine Zukunftsperspektive bieten. Ein Blick in den Landkreis Ludwigslust-Parchim zeigt die Chancen, wie Deutschlands ländlichste Räume Personalengpässe überwinden und flächendeckende Mobilität sichern können.

On-Demand-Angebote erfolgreich am Ende

On-Demand-Verkehre, also Kleinbusse, die ganz ohne Fahrplan unmittelbar auf die Fahrtenwünsche der Fahrgäste reagieren, haben in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung erlebt. Das lag an der Reform des Personenbeförderungsgesetzes im Jahr 2021. Mit dieser wurde die Rechtsgrundlage für die flexiblen Mobilitätsangebote und verschiedene Geschäftsmodelle geschaffen. In fast 100 On-Demand-Projekten haben Städte und Landkreise in Deutschland seitdem die neuen Möglichkeiten der digital gestützten Mobilität getestet. Ergebnis: Es funktioniert. Als Ergänzung zum klassischen ÖPNV verbessern die Dienste die Mobilität vieler Menschen gerade im ländlichen Raum, in Zeiten geringer Nachfrage und insbesondere für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen durch barrierefreie Fahrzeuge. 

Nach dem Start dieser Projekte mit meist nur drei oder vier Fahrzeugen pro Region, sollte nun eigentlich die Phase der Angebots-Ausweitung beginnen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Nach dem Auslaufen der Projektförderung wurden erste On-Demand-Verkehre trotz guter Nachfrage bereits eingestellt, zuletzt in Leverkusen und Nordfriesland.[1] Der Grund: zu hohe Kosten und der Fahrermangel. Zwar zeigen Untersuchungen, dass On-Demand-Projekte mit Fahrpersonal kosteneffizienter werden können, etwa durch einen passenden Zuschnitt der Bediengebiete oder den zentralen Ankauf von Software für mehrere Projekte.[2] Doch was bleibt, ist der hohe Personalbedarf.

Autonome Shuttles können Personalmangel ausgleichen

Bei der Lösung des Personalmangels könnte autonomes Fahren eine Schlüsselrolle spielen. Von der Gesellschaft gibt es hierfür inzwischen Rückenwind: Die anfängliche Skepsis gegenüber autonomem Fahren im ÖPNV verändert sich in Deutschland zunehmend hin zu Interesse und Akzeptanz – insbesondere dort, wo die Technik erlebbar ist. Gerade als Beitrag zum Klimaschutz und als Mobilitätsangebot für das Land sehen vier von fünf Deutschen einen klaren Mehrwert. Drei Viertel hätten kein Problem damit, in einen fahrerlosen Minibus, Bus oder U-Bahn einzusteigen. Die Bereitschaft ist in den letzten Jahren gewachsen.[3]

Gut also, dass derzeit in mehreren Regionen Deutschlands autonome Shuttles entwickelt werden (siehe Karte). Das Projekt „Autonome Rufbusse im Landkreis Ludwigslust-Parchim“, kurz ARuf_LUP, gehört zu den ambitioniertesten Vorhaben im autonomen ÖPNV. Ziel ist es, durch autonom fahrende Rufbusse eine zukunftsfähige Mobilitätslösung für den ländlichen Raum zu schaffen – genau dort, wo der klassische ÖPNV an seine Grenzen stößt.

Ludwigslust-Parchim: Schaffst du es hier, schaffst du es überall

Der Landkreis Ludwigslust-Parchim ist zweimal so groß wie das Saarland, es leben dort aber nur 209.000 Menschen – meist weit verteilt im ländlichen Raum. Eine große Herausforderung, wenn ein moderner, klimafreundlicher ÖPNV für alle das Ziel sein soll. Doch Landkreis und die örtliche Verkehrsgesellschaft Ludwigslust-Parchim (VLP) haben bereits Beachtliches geschafft. Mit einem Anteil von über 20 Prozent Elektrobussen liegt die Provinz über dem entsprechenden Anteil der meisten deutschen Metropolen. Linienbusse konzentrieren sich auf die Strecken zwischen den größeren Gemeinden, in allen anderen Orten gibt es Rufbus-Angebote: zeitgemäß mit App bestellbar (77 Prozent Buchung via App) und mit Anschluss an die Regionalbahnen. Das kommt an: 200.000 Bestellungen erwartet die VLP für 2025. Das wäre eine Steigerung von 56 Prozent innerhalb der letzten zehn Jahre.

Die wachsende Nachfrage lässt die Region jedoch an ihre Leistungsgrenzen stoßen: „Im Landkreis müssen etwa 20 Prozent aller Anforderungen von Rufbussen abgelehnt werden, weil nicht genügend Fahrer vorhanden sind“, so Frank Möller, Teamleiter Technologie bei der VLP, auf dem Agora Stadtgespräch am 26. Mai 2025 in Dresden. Mit dem autonomen On-Demand-Shuttle-Dienst ARuf_LUP will die VLP nun das Angebot für die Bürger:innen weiter verbessern und dabei die Wachstumsgrenze „Fahrpersonal“ umfahren. 

Erstmals autonome Systeme von deutschem Anbieter eingesetzt

Als das vom Bundesverkehrsministerium geförderte Projekt im Mai 2025 offiziell an den Start ging, war es nicht das erste seiner Art. Es läutet aber eine neue Entwicklungsphase für den On-Demand-Verkehr in Deutschland ein. Wie im Projekt KIRA im Landkreis Offenbach sollen schrittweise größere ländliche Gebiete mit einer wachsenden Anzahl an Level-4-Fahrzeugen bedient werden. Bisherige Projekte arbeiteten mit einzelnen Fahrzeugen in einem kleinen Bediengebiet und sie waren meist im urbanen Raum angesiedelt. Ein zweites Novum: Das eingesetzte System zum autonomen Fahren stammt vom Berliner Unternehmen Motor Ai, dem derzeit einzigen deutschen Anbieter einer Software zum autonomen Fahren und damit nicht von Mobileye, dem bisher dominanten israelisch-amerikanischen Anbieter.

„Die autonomen Fahrzeuge arbeiten mit einem auf kognitiver KI basierenden System. Diese KI ist in der Lage, ohne vorheriges datenintensives Training Entscheidungen in komplexen Fahrsituationen zu treffen.“ Berichtete Constance Wendrich von Motor Ai auf dem Agora Stadtgespräch. „Die Entscheidungen dieser KI sind nachvollziehbar und damit zertifizierbar. Das stellt für die Zulassung in Deutschland und Europa eine wichtige Voraussetzung dar. Damit hebt sich Motor Ai von Deep Learning-Ansätzen ab, deren Entscheidungen immer auf Black-Box-Systemen beruhen.“

Das System zum Autonomen Fahren von Motor Ai hat im Frühjahr 2025 die Erprobungsgenehmigung vom Kraftfahrtbundesamt erhalten und sammelt seither Fahrpraxis. Die Fahrzeuge verfügen über ein umfassendes Sensorpaket (Radar, Lidar, Kameras, IMU, GPS). Die Sicherheitsfahrer:innen, die sich zunächst, wie gesetzlich vorgeschrieben, noch mit im Fahrzeug befinden, sollen mittelfristig entfallen. Dann wird auch die, ebenfalls gesetzlich vorgeschriebene, technische Überwachung zum Tragen kommen, die die autonomen Fahrzeuge aus der Ferne überwacht und bei Bedarf eingreifen kann. Perspektivisch kann eine technische Überwachung eine wachsende Anzahl von Fahrzeugen gleichzeitig betreuen – ein wichtiger Hebel für die Skalierung. 

Technik erproben und Blaupause für andere Regionen schaffen

Deutschland konkurriere beim autonomen Fahren mit den USA und China, so VLP-Technologiechef Frank Möller. Noch zähle man zu den Top-3 weltweit. Damit das so bleibt, brauche es Projekte wie ARuf_LUP: „Wir müssen die Technik erproben, wenn wir den Anschluss nicht verlieren wollen,“ so Möller.

Der Fahrplan für Ludwigslust-Parchim jedenfalls steht:

  • 2025 – Erprobungsgenehmigung für ein erstes Fahrzeugs mit Sicherheitsfahrer:in;
  • 2026 – Betriebserlaubnis für den Einsatz im Regelbetrieb mit fünf Fahrzeugen und Akzeptanzfahrer:innen;
  • 2028 – Vollautonomer Betrieb, ohne Sicherheitsfahrer:in.

Ziel der VLP ist aber nicht nur, die technischen Voraussetzungen zu schaffen, sondern auch ein übertragbares Modell für andere ländliche Regionen zu entwickeln. Gerade weil der ÖPNV in Deutschland sehr kleinteilig organisiert ist, kommt es darauf an, dass sich gute Ansätze schnell verbreiten. Ludwigslust-Parchim will als Blaupause für weitere Regionen verstanden werden: Der Wissenstransfer ist ausdrücklich erwünscht. Die Erfahrungen, die hier gesammelt werden, können exemplarisch zeigen, wie autonome On-Demand-Systeme in ländlichen Räumen funktionieren können – unter realen Bedingungen, mit echten Fahrgästen und eingebettet in bestehende Verkehrsangebote.

Bund und EU ebnen Weg für autonomen ÖPNV 

Von Seiten der Bundespolitik und der EU wurden in den letzten Jahren bereits wichtige gesetzliche Grundlagen für die Erprobung und Einführung autonomer Shuttles gelegt. Sie erleichtern es Kommunen und Betreibern entsprechende Angebote aufzubauen: 

  • Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) bietet seit 2021 Spielraum für flexiblen Verkehrsangeboten und gibt Kommunen starke Steuerungsoptionen.
  • Das Gesetz zum autonomen Fahren regelt seit 2021 den Einsatz von Level-4-Fahrzeugen im Straßenverkehr und schafft Rechtsklarheit für deren Betrieb – zum Beispiel durch die Einführung technischer Aufsichtspersonen. Auch das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung wurden entsprechend angepasst.
  • Die Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs- und Betriebs-Verordnung (AFGBV) präzisiert seit 2023 die Anforderungen an technische Genehmigungen, Verfahren zur Erprobung und Betriebserlaubnis für autonome Fahrzeuge.
  • Der EU Artificial Intelligence Act (AI Act) legt europäische Regeln für den Einsatz von KI fest – mit besonderem Fokus auf Risikoklassen, Transparenzpflichten und Schutz von Grundrechten, unter anderem auch für KI beim autonomen Fahren. Er tritt seit 2024 stufenweise in Kraft. Typisch für einen derartigen Rechtsakt legt die EU in ihrer Verordnung einen richtungsweisenden, aber eher groben Rahmen fest, der schrittweise ausgearbeitet und an die technologische Entwicklung angepasst werden muss.

Diese Regelwerke bieten die Grundlage eines europäischen Wegs, der nicht bloß Tech-Giganten imitiert, sondern Klimaschutz, soziale Teilhabe benachteiligter Bevölkerungsgruppen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger verbessern will. Ohne kluge Integration droht mehr Verkehr, mehr Energieverbrauch und mehr Ungleichheit in der Mobilität. Ein ungeregeltes Detektieren des öffentlichen Raums und die Verarbeitung von Daten außerhalb Europas könnte das Vertrauen in die Technologie schnell zerstören. 

Bundesregierung und Akteure vor Ort sollten Momentum nutzen

Die neue Bundesregierung hat sich in ihrer Strategie zum autonomen Fahren das Ziel gesetzt, in Deutschland bis 2028 den weltweit größten Betriebsbereich autonomer Fahrzeuge aufzubauen. Es sollen dafür klimafreundliche und inklusive Angebote im ländlichen Raum ausgebaut und auf allen Ebenen Technologie aus heimischer Entwicklung erprobt werden. Die Förderung von Modellregionen ist im Koalitionsvertrag verankert.

Um diese Ziele zu erreichen, braucht es jetzt zum einen von der Bundesregierung Fördermittel, die  strategisch auf wenige große, langfristige Modellvorhaben konzentriert werden. Zum anderen sind nun aber auch Länder, Kommunen, Betreiber, Unternehmen, Verbände und Wissenschaftspartner gefragt. Es braucht eine Umsetzungsallianz dieser Akteure, denn die gesetzlichen Anpassungen sind weitestgehend auf den Weg gebracht – nun liegt es an ihnen, das Momentum zu nutzen. 

Fazit

Autonomen On-Demand-Shuttles haben das Potenzial, die Mobilität auf dem Land deutlich zu verbessern. Ob sie langfristig für die Kommunen tragfähig sind, ist eine offene Frage. Mit ausreichend Engagement der Politik und der Mobilitätswirtschaft in die Modellregionen lässt sich vor Ende dieses Jahrzehnts eine Antwort finden. Der Landkreis Ludwigslust-Parchim zeigt mutig und vorbildlich, wie ein solches Engagement aussehen kann. 

Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien erstmals am 13.08.2025 als Standpunkt von Philipp Kosok im Tagessspiegel Background.


[1] Wupsi (2024): On-Demand-Service der wupsi wird zum Jahresende eingestellt, verfügbar unter: https://www.wupsi.de/detail/on-demand-service-der-wupsi-wird-zum-jahresende-eingestellt/; SHZ (2024): Aus für Rufbus und On-Demand-Verkehr im Kreis Nordfriesland – so geht es jetzt weiter, verfügbar unter: https://www.shz.de/lokales/husum/artikel/aus-fuer-rufbus-und-on-demand-verkehr-im-kreis-nordfriesland-47765011.

[1] Difu (2025): Mit On-Demand-Angeboten den ÖPNV ergänzen, verfügbar unter: https://difu.de/projekte/mit-on-demand-angeboten-den-oepnv-ergaenzen.

[1] Bitkom (2024): Autonomes Fahren, Sharing und KI - so sehen die Deutschen die Mobilität der Zukunft, verfügbar unter: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Autonomes-Fahren-Sharing-KI-Mobilitaet-der-Zukunft; Bitcom (2024): Autonome Verkehrsmittel: im Nahverkehr gut vorstellbar, verfügbar unter: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Autonome-Verkehrsmittel-Nahverkehr-vorstellbar#_.

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