Klimaschutzprogramm für den Verkehr – was ist jetzt zu tun?

Nach dem Klimaschutzplan ist vor der Verkehrswende

Dr. Günter Hörmandinger

Am 20. September legte ein erschöpftes Klimakabinett nach einer durchverhandelten Nacht seine Eckpunkte für ein Klimaschutzprogramm 2030 vor. Zur gleichen Zeit demonstrierte draußen eine Rekordzahl von Bürgerinnen und Bürgern für stärkeren Klimaschutz. Die unmittelbare öffentliche Reaktion auf den Plan war, speziell auch von wissenschaftlicher Seite, überwiegend kritisch. Dafür sorgte besonders der völlig unzureichende Anfangswert für den CO2-Preis von 10 Euro pro Tonne im Jahr 2021. Die weiteren Bepreisungsinstrumente sind im Eckpunktepapier so vage gehalten (besonders bei der Reform der Kfz-Steuer und der Lkw-Maut), dass ihre notwendige Lenkungswirkung nicht absehbar ist. Aber auch andere Elemente des 22-seitigen Papiers wurden wegen zu geringer Ambition heftig kritisiert. Die Bundesregierung hat sich dadurch der Kritik von allen Seiten ausgesetzt: Von jenen, die den Klimaschutz argwöhnisch als unbotmäßige Staatsintervention betrachten – aber auch von denen, die beim Klimaschutz mehr Ambition fordern.

Nach dem Klimaplan ist vor der Verkehrswende. In der Zwischenzeit hatten alle Beteiligten die Gelegenheit, das Papier mit wachem Blick zu überdenken. Wir selber auch. Klar ist: Einen grundlegend anderen Plan wird es unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen nicht geben. Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben – auch wenn das bei weitem nicht das ist, was notwendig gewesen wäre um die Klimaschutzziele 2030 im Verkehrssektor zu erreichen. Klar ist auch, dass dieser Plan nur einen ersten Aufschlag darstellt, denn viele der darin enthaltenen Maßnahmen sind noch nicht im Detail ausgearbeitet. Auch wenn inzwischen erste Konkretisierungen der im Eckpunktepapier enthaltenen Instrumente in die Öffentlichkeit gelangt sind, dürften diese weiterhin formbar sein. Ihre Wirksamkeit hängt entscheidend von ihrer konkreten Ausgestaltung ab. Dies wird im Folgenden anhand einiger Einzelmaßnahmen genauer beleuchtet.

Auf den Preis kommt es an. Ökonomische Instrumente spielen in dem Plan zurecht eine zentrale Rolle. Der angekündigte CO2-Preis wird aber im Verkehrsbereich keine nennenswerte Lenkungswirkung entfalten können, weder im Startjahr 2021 mit 10 Euro pro Tonne – was etwa 3 Cent pro Liter Benzin oder Diesel entspricht – noch mit den für 2025 angestrebten 35 Euro. Zur Erreichung der Klimaschutzziele wäre im Verkehrsbereich ein Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne Kohlendioxid erforderlich, der bis 2030 auf einen dreistelligen Betrag steigt.

Sozialverträglichkeit ist zentral... Entscheidend für die politische und soziale Akzeptanz eines CO2-Preises mit Lenkungswirkung ist, dass die Mehrbelastungen für Menschen mit geringeren Einkommen abgefedert werden. Auch Pendelnde und Menschen im ländlichen Raum sollen durch den CO2-Preis nicht systematisch benachteiligt werden. Das hat auch das Klimakabinett erkannt und versucht, Entlastung dadurch zu schaffen, dass die Pendlerpauschale ab einer einfachen Pendelstrecke von mehr als 20 Kilometern um 5 Cent auf 35 Cent erhöht wird. 

… aber die Pendlerpauschale ist der falsche Weg. Durch die geplante Erhöhung der Pendlerpauschale in Kombination mit dem unzureichenden CO2-Preis auf den Kraftstoff wird insgesamt das Pendeln deutlich günstiger als bisher. Das schafft Anreize zum Pendeln und damit potenziell mehr Autoverkehr, was dem Ziel des Klimaschutzes im Verkehr sowie weiteren ökologischen Zielen direkt zuwiderläuft. Dazu kommt, dass von der geplanten Erhöhung insbesondere einkommensstarke Haushalte profitieren. Der notwendige soziale Ausgleich muss daher anders gestaltet werden, ohne das Primärziel der Klimawirksamkeit zu konterkarieren. Dies kann zum Beispiel durch eine einheitliche Klimaprämie für alle Bürgerinnen und Bürger und die Absenkung der Stromsteuer sowie die Umgestaltung der Pendlerpauschale zu einem einkommensunabhängigen Mobilitätsgeld geschehen, wie wir an anderer Stelle vorgeschlagen haben.

Bonus-Malus beim Autokauf. Das Programm enthält eine Reform der Kfz-Steuer. Damit dieser Mechanismus auch greift, muss der Preisimpuls hinreichend hoch sein. Gemäß aktuellen Entwürfen verdoppelt sich der Steuersatz je Gramm CO2, für stärker emittierende Fahrzeuge soll er sich fast verdreifachen. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, der aber aller Voraussicht nach noch nicht ausreicht. Um eine hohe Wirksamkeit zu entfalten, sollte die Besteuerung künftig verstärkt beim Kauf bzw. der Erstzulassung ansetzen, da das Preissignal dann eine höhere Sichtbarkeit aufweist und damit eine stärkere Lenkungswirkung entfaltet als in den Folgejahren des Pkw-Besitzes. In Kombination mit Prämien für den Kauf emissionsarmer Fahrzeuge entsteht hierdurch faktisch ein Bonus-Malus-System für eine klimaverträgliche Flottenerneuerung. Eine derartige Reform der Kfz-Steuer leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, dass verstärkt effiziente Fahrzeuge in den Markt kommen. Wenn wir darüber nicht mindestens 10 Mio. Elektrofahrzeuge in den Bestand einflotten, wird es in keinem Fall gelingen, die Zielmarke 2030 zu erreichen. Hierzu werden wir in Kürze weiterführende Vorschläge vorstellen.

Auch für Dienstwagen gilt: Zuckerbrot allein reicht nicht aus. Das bestehende System der Dienstwagenbesteuerung hat einen effektiven Klimaschutz im Verkehr in den letzten Jahren gehemmt. Wenn dennoch an diesem System festgehalten werden soll, so ist es immerhin richtig, dass emissionsarme und emissionsfreie Pkw bessergestellt werden als solche mit hohem CO2-Ausstoß. Geplant ist, die bestehende steuerliche Bevorzugung für die private Nutzung von elektrischen Dienstwagen zu verlängern und auszuweiten. Mindestens ebenso wichtig wäre es aber, die weiterhin bestehenden erheblichen Steuervorteile für Fahrzeuge mit hohen Emissionen zu reduzieren bzw. diese höher zu besteuern. Dies wäre sowohl aus ökologischer als auch aus verteilungspolitischer Perspektive der zielführendere Ansatz.  Generell sollte die Dauer solcher steuerlichen Vergünstigungen für die Pkw-Nutzung zeitlich begrenzt werden.

Lkw-Maut: Jetzt kommt es auf die ambitionierte Umsetzung an. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung anstrebt, den CO2 -Ausstoß von Lkw bei der Höhe der Maut zu berücksichtigen. Dabei ist es wichtig, dass es sich in keinem Fall nur um eine Differenzierung handeln darf, sondern um einen echten CO2-Aufschlag. Dem Vernehmen nach wird ein Wert von 200 Euro je Tonne CO2 diskutiert; dies erscheint hier zielführend. Zudem sollte die Maut schnellstmöglich auf weitere Fahrzeugklassen und auf alle Straßen ausgedehnt werden. Damit emissionsfreie Fahrzeuge auch tatsächlich in substanziellem Umfang zum Einsatz kommen, muss der Aufbau einer ausreichend dichten Energieversorgungsinfrastruktur unverzüglich angegangen werden. Wichtig wäre überdies, dass zukünftig Mittel aus der Lkw-Maut auch für die Schiene und den öffentlichen Personennahverkehr eingesetzt werden können. Mittelfristig sollte aufbauend auf den Erfahrungen mit der Lkw-Maut auch eine nutzungsabhängige und verursachergerechte Pkw-Maut eingeführt werden, die dann die CO2-Komponente in der Besteuerung von Benzin und Diesel ablösen könnte. Auch hierzu wird Agora Verkehrswende in den kommenden Monaten einen Vorschlag zur Ausgestaltung erarbeiten.

Billigere Bahntickets: Mehr Reisende brauchen auch mehr Bahn. Die kurzfristige Preisabsenkung im Schienenpersonenverkehr durch eine Mehrwertsteuer-Absenkung birgt das Risiko der Überlastung, solange nicht bestehende Engpässe bei Schieneninfrastruktur, Zügen und Personal behoben werden. Insbesondere gilt es, die Finanzierung der für den Deutschlandtakt notwendigen Infrastruktur bis 2030 auch tatsächlich durch ein Bundesgesetz abzusichern. Die im Klimapaket erwähnten erheblichen Schienenmittel waren aber größtenteils bereits vor dem Klimapaket beschlossen worden und fließen überwiegend in Instandhaltung und Ersatz. Auch für den Neu- und Ausbau müssen Mittel zweckgebunden bereitgestellt werden. Mit den bisher verabschiedeten Instrumenten wird es kaum möglich sein, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel zu erreichen, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln.

Ladeinfrastruktur: Qualität geht vor Quantität. Die vielen beschriebenen Maßnahmen zur Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge zeigen, dass deren Wichtigkeit verstanden worden ist. Der angekündigte Masterplan Ladesäuleninfrastruktur muss nun zügig erstellt und in die Tat umgesetzt werden, insbesondere sollten rechtliche Hindernisse für den Aufbau von Ladepunkten schnell beseitigt werden. Bei Ladesäulen im öffentlichen Raum zählt nicht nur die Gesamtanzahl, sondern auch ihre optimale Lokalisierung. Wichtig ist es, potenziellen Autokäufern dadurch glaubwürdig zu vermitteln, dass sie mit Elektrofahrzeugen ihren Mobilitätsbedürfnissen jederzeit gerecht werden können.

Klimaschutz als Rechtsziel für den Stadtverkehr. Leider hat der vorgestellte Plan die Gelegenheit versäumt, den Rechtsrahmen für eine Verkehrswende in den Kommunen zu schaffen. Klimaschutz sollte als Ziel und Begründungszusammenhang in eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen zum Stadtverkehr aufgenommen werden, unter anderem in die Straßenverkehrsordnung (StVO), das Straßengesetz, das Personenbeförderungsgesetz (PBefG), und das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Das gleiche sollte im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) erfolgen. Einzig das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) wird stärker am Klimaschutz orientiert; in diesem sind klimaschädliche Aspekte aber weniger zu vermuten.

Kommunen als Schlüsselakteure der Verkehrswende stärken. In den vergangenen Jahren war die Luftreinhaltung der verkehrspolitische Dauerbrenner in den Kommunen. In anderen Ländern wird Luftreinhaltung längst mit Klimaschutz zusammen gedacht – etwa indem Kommunen in die Lage versetzt werden, emissionsfreie Zonen anzuordnen (Beispiel Niederlande). Das ist ein wirksamer Weg, CO2-arme Fahrzeuge in den Verkehr zu bringen.  Zum Radverkehr werden keine präzisen Aussagen getroffen, weder was Fördermittel noch Wege zur Steigerung der Verkehrssicherheit betrifft. Hier herrscht Handlungsbedarf. Auch zwei genannte Sonderprogramme für Stadt und Land bleiben diffus und müssen ausdifferenziert werden. Die Absicht, die Mittel des GVFG ab 2025 auf 2 Milliarden Euro zu erhöhen, kommt zu spät. Die Finanzmittel sollten schon vorher erhöht werden, ebenso wie die kommunalen Planungskapazitäten. 

Fliegen: da muss noch was kommen. Die angekündigte Erhöhung der Luftverkehrsabgabe zur Finanzierung der verbilligten Bahntickets geht in die richtige Richtung, ist aber nur ein erster Schritt. Mittel- bis langfristig müssen die Bemühungen einer adäquaten Besteuerung des Flugverkehrs deutlich verstärkt werden.

Was noch zu ergänzen wäre: Während das Klimaprogramm viele Maßnahmen enthält, bleiben eine Reihe weiterer, schon lange diskutierter Maßnahmen unerwähnt, deren Einbeziehung es erleichtern würde, die Klimaziele zu erreichen. Die steuerliche Privilegierung von Dieselkraftstoff sollte schrittweise abgebaut und letztlich eliminiert werden. Dazu darf auch ein Tempolimit auf Autobahnen nicht weiter tabuisiert werden. Dieses wird nicht nur von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, es wirkt auch angesichts der sich abzeichnenden Automatisierung von Fahrzeugen zunehmend wie ein Anachronismus.

Der Blinker ist gesetzt, aber wir sind noch nicht abgebogen. Insgesamt sind die angekündigten Maßnahmen ein erster Schritt, werden aber das Sektorziel einer 40-42-prozentigen Emissionsverminderung im Verkehr bis zum Jahr 2030 aller Voraussicht nach nicht erreichen können, wenn nicht in der detaillierten Ausarbeitung noch deutlich angeschärft wird. Vor allem die unzureichenden bzw. noch unkonkreten Preissignale geben den Akteuren kein Signal zum Umsteuern. Darüber hinaus muss bei allen Maßnahmen auch das Langfristziel einer vollständig klimaneutralen Wirtschaft spätestens im Jahr 2050 mitgedacht werden. Dazu kommt noch die Ankündigung der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, das europäische Klimaziel für 2030 anzuheben, weshalb damit zu rechnen ist, dass auch auf den Verkehr noch zusätzliche Minderungsanforderungen zukommen. Es ist unwahrscheinlich, dass diese gewaltige Ambition in einem einzigen Wurf erreicht werden kann. Deshalb sind in naher Zukunft weitere Schritte und Anpassungen unabdingbar. In diesem Zusammenhang ist der geplante Monitoringprozess zu begrüßen. Es ist zu erwarten, dass dadurch die oben genannten Defizite sichtbar und entsprechende Anpassungen vorgenommen werden. Bis dahin gilt: nach dem Klimaschutzprogrmm ist weiterhin vor der Verkehrswende.

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