IMO-Klimaregulierung: Es kommt auf die Umsetzung an
Mitte Oktober entscheidet die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) über ihren Regulierungsrahmen für Klimaneutralität. Wird der zur Debatte stehende Vorschlag angenommen, stehen Verhandlungen über die technische Umsetzung an. Mit wirksamen Nachhaltigkeitsregeln könnte die Schifffahrt zu einem globalen Treiber für grüne E-Fuels werden.

Einleitung
Die internationale Schifffahrt steht an einem Wendepunkt. Im April hat sich das Marine Umweltschutz-Komitee (MEPC) der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) auf einen Regulierungsrahmen für Klimaneutralität (Net-Zero Framework) geeinigt. Der Vorschlag kombiniert einen globalen Kraftstoffstandard (global fuel standard, GFS) mit einem Finanzierungsmechanismus über eine CO2-Abgabe. Dieser Kompromiss ist zwar nicht perfekt – die ersten Zielwerte sind wenig ambitioniert –, doch er ebnet den Weg für den ersten global wirksamen Mechanismus zur Bepreisung von CO2-Emissionen und kann den Markt für klimaneutrale Kraftstoffe entscheidend voranbringen.
Der Seeverkehr ist in einer günstigen Ausgangslage für den Einsatz von nachhaltigen E-Fuels. Bereits heute werden in der Schifffahrt unterschiedliche Kraftstoffe eingesetzt (Diesel, Flüssigerdgas, Biokraftstoffe). Erste Schiffe nutzen auch bereits Ammoniak und Methanol – beides Energieträger, die sich leichter und kostengünstiger auf Basis von grünem Wasserstoff herstellen lassen als kohlenwasserstoffhaltige E-Fuels wie E-Diesel oder E-Kerosin. E-Ammoniak und E-Methanol sind damit die aussichtsreichsten Optionen für Klimaneutralität im internationalen Seeverkehr; und mögliche Wegbereiter für die Produktion von grünem Wasserstoff im großen Maßstab.
Die Annahme des Regulierungsrahmens ist kein Selbstläufer. Läuft es bei der IMO-Sitzung Mitte Oktober in London auf eine Abstimmung hinaus, wird eine Zweidrittelmehrheit benötigt. Viele Petrostaaten und auch die USA äußern Vorbehalte oder versuchen sogar, den Kompromiss zu verhindern, während EU-Mitgliedstaaten, China, Brasilien, Panama, kleine Inselstaaten und die Mehrheit der Reeder auf eine Annahme drängen. Deutschland und die EU sollten eine Führungsrolle einnehmen und weitere Staaten mobilisieren, um die Erfolgschancen zu erhöhen.
Die eigentliche Arbeit beginnt aber erst, wenn die Regulierung verabschiedet wurde: die Entwicklung technischer Richtlinien und Standards. Hier entscheidet sich, ob die Regulierung nur ein schwaches Symbol bleibt – oder ob sie tatsächlich den Hochlauf grüner E-Fuels vorantreibt. Denn: Mit falschen oder zu laxen Emissionsfaktoren droht die Schifffahrt in Sackgassen zu investieren. Dies gilt insbesondere für drei mögliche Kraftstoffoptionen:
- Werden Biokraftstoffe pauschal als CO₂-neutral eingestuft, öffnet das Tür und Tor für Kraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen. Die Folgen: Flächenkonkurrenz, indirekte Landnutzungsänderungen und kaum reale Klimavorteile. Länder wie Indonesien und Malaysia, die für einen Großteil der globalen Palmölproduktion und der damit einhergehenden Umweltauswirkungen stehen, stimmten bereits im April gegen den Regulierungsrahmen. Nur fortschrittliche Biokraftstoffe aus Rest- und Abfallstoffen mit nachweisbarer Nachhaltigkeit sollten angerechnet und verlässliche Zertifizierungssysteme zur Prävention von Betrugsfällen eingeführt werden.
- Flüssigerdgas (liquefied natural gas, LNG) kann auf dem Papier Emissionen senken, verursacht in der Praxis aber meistens erhebliche zusätzliche Klimawirkungen. Vor allem Methanleckagen und CO2-Emissionen bei Förderung, Transport und Nutzung werden bislang oft unterschätzt. Realistische Faktoren, die diese vorgelagerten (upstream) Emissionen und den Methanschlupf abbilden, sind zwingend notwendig. Andernfalls würden Milliardeninvestitionen in LNG-Infrastruktur zementiert – auf Jahrzehnte hinaus. Einige Reeder, die in den vergangenen Jahren stark in LNG investiert haben, sprechen sich deshalb auch gegen den IMO-Regulierungsrahmen aus.
- Blauer Wasserstoff und daraus gewonnene synthetische Kraftstoffe sind selten klimafreundlich. Sie beruhen auf fossilem Erdgas, bei dessen Förderung und Transport ebenfalls erhebliche Methan- und CO2-Emissionen auftreten können. Auch bei der CO₂-Abscheidung und Speicherung (CCS) bleiben die Emissionen hoch, wenn nicht strengste Kriterien angesetzt werden. Somit können sich sogar höhere Emissionen als bei konventionellen Kraftstoffen ergeben.
Ein wissenschaftlich fundierter Regulierungsrahmen für Lebenszyklusanalysen mit realistischen Emissionsfaktoren für die anrechenbaren Kraftstoffe ist also keine technische Nebensache, sondern der Schlüssel, um Schlupflöcher zu verhindern und den Markt auf den richtigen Kurs zu bringen.
Bei richtiger Ausgestaltung kann die Regulierung für Klimaneutralität in der Schifffahrt ein globaler Treiber für den Hochlauf von grünem Wasserstoff und dessen Derivaten werden. Wenn die IMO klare Nachhaltigkeitskriterien durchsetzt, schafft sie Planungssicherheit für Investoren weltweit. Ein zusätzlicher Hebel liegt in den Einnahmen aus der CO2-Abgabe, wenn diese primär zur Finanzierung von grünem Wasserstoff und E-Fuels eingesetzt würden. Für den Markthochlauf bedeutet das: Skaleneffekte, sinkende Kosten und schnellere Verfügbarkeit auch in anderen Sektoren – etwa in der Industrie und in der Luftfahrt. So kann selbst ein schwacher politischer Kompromiss eine starke Wirkung haben.
Dieser Text erschien zuerst am 14.10.2025 im Climate.Table Professional Briefing.
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