Die Autoindustrie vor dem Umbruch

Vor allem die Veränderungen auf dem chinesischen Markt treiben die Autoindustrie in ihre größte Herausforderung seit der Erfindung das Automobils. Christian Hochfeld über die Treiber der Veränderung bei der Mobilität.

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Die Autoindustrie steht vor dem größten Wandel ihrer Geschichte. Zur Debatte steht die Zukunft des Verbrennungsmotors, der private Besitz von Fahrzeugen und das Autofahren als Arena persönlicher Selbstverwirklichung. Nie zuvor in ihrer 125-jährigen Geschichte sind die Hersteller gleichzeitig mit solch fundamentalen Herausforderungen konfrontiert worden.

Allerdings ist es bisher weniger die hiesige Umwelt- oder Klimapolitik, von der die Autoproduzenten getrieben werden – abgesehen von der durch den „Diesel-Skandal“ ausgelösten Dynamik, die freilich von der Industrie selbst ausgelöst wurde. Es ist das Geschehen auf dem chinesischen Markt, dem weltweit größten Absatzmarkt für Fahrzeuge, das die Hersteller umtreibt. In den von enormer Luftverschmutzung geplagten Millionenstädten Chinas zeichnet sich bereits heute ab, wohin die Reise geht: zum elektrischen, lokal emissionsfreien Fahren, zur gemeinschaftlichen Nutzung von motorisierten und nicht-motorisierten Verkehrsmitteln und zu einem Verbund aller möglichen Mobilitätsoptionen.

Mobilitätswende kann Lebensqualität in Städten erhöhen

Die passenden politischen Rahmenbedingungen vorausgesetzt kann die Lebensqualität auch in den hiesigen urbanen Zentren verbessert werden. Mehr noch: Die Ziele der nationalen und internationalen Klimapolitik lassen sich nur erreichen, wenn entschlossen in Angriff genommen wird, wofür sich inzwischen der Begriff Verkehrswende eingebürgert hat. Immerhin steuerte der Verkehr im vergangenen Jahr 166 Millionen Tonnen Treibhausgase zur deutschen Klimabilanz bei; das ist sogar etwas mehr als 1990 und so viel wie kein anderer Sektor des Endenergieverbrauchs zum Ausstoß von Treibhausgasen beisteuert. Damit ist klar: Nur wenn die Verkehrswende gelingt, kann auch die Energiewende ein Erfolg werden, nach Lesart des Kanzleramtes die „größte Herausforderung seit dem Wiederaufbau in der Nachkriegszeit“.

Allerdings ist die Verkehrswende ein deutlich komplexeres Projekt als die Energiewende. Letztere manifestiert sich für Otto Normalverbraucher einmal pro Jahr bei der Lektüre der Stromrechnung, sowie beim sicher häufigeren Anblick von Windrädern, über deren Ästhetik sich streiten lässt; der Strom kommt derweil wie gewohnt aus der Steckdose. Demgegenüber verändert die Verkehrswende den Alltag von Millionen Menschen. Sie verlangt ihnen Verhaltensänderungen ab, den Abschied von Gewohnheiten, die bisher das tägliche Leben strukturiert haben. Das eigene Auto, das für viele Menschen als Transportmittel und Statussymbol immer noch fast ein Monopol hat, verliert seine überragende Bedeutung. Und wenn es zum Einsatz kommt, verlangt das Auto der Zukunft einen anderen Umgang als es die heutigen Fahrzeuge tun – vorausgesetzt, die Verkehrswende soll wirklich gelingen. Sie ist eben weit mehr als nur eine „Antriebswende“.

Mobilitätswende und Energiewende im Verkehr

Die Mobilitätswende hat zum Ziel, den Energieverbrauch des Verkehrssektors zu senken, ohne die Mobilität einzuschränken. Warum? Weil sich nur so der verbleibende Energiebedarf des Verkehrs klimaneutral decken lässt. Der Verkehrssektor beanspruchte 2015 rund 727 Milliarden Kilowattstunden Energie; das ist mehr als der Energiebedarf des verarbeitenden Gewerbes oder der privaten Haushalte – und es übertrifft die gesamte deutsche Stromerzeugung (2015: 647 Milliarden Kilowattstunden), zu der rund 28.000 Windkraftanlagen gerade einmal 12 Prozent beigetragen haben. Wie viele der umstrittenen Windräder nötig wären, um in Zukunft das Gros der Energienachfrage einschließlich der des Verkehrs auf heutigem Niveau zu decken ist eine gute Frage. Es wären mit einiger Wahrscheinlichkeit mehr als die Bevölkerung klaglos hinzunehmen bereit wäre. Nicht nur, aber vor allem deshalb spielt die Mobilitätswende einen unverzichtbaren Part bei der Verkehrswende. Sie ermöglicht Mobilität mit weniger Verkehr – sprich: mit weniger Energieverbrauch.

Verkehr zu vermeiden und auf umweltverträgliche Verkehrsmittel zu verlagern ist schon öfter versucht worden – von Ausnahmen abgesehen mit bescheidenem Erfolg. Zum ersten Mal eröffnet sich nun allerdings eine Erfolgschance. Nicht nur, weil sich vor allem in der jüngeren, städtischen Bevölkerung die Einstellung zum Auto zu ändern beginnt, sondern auch, weil die Digitalisierung sowie die Informations- und Kommunikationstechnik möglich machen, was bisher unmöglich schien: die Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel vom Fahrrad über Busse, Straßen- und U-Bahnen bis hin zum Pkw zu einem Mobilitätsverbund. Eine neue Qualität von Mobilität nimmt auf diese Weise Gestalt an.

Digitalisierung eröffnet neue Vernetzungsmöglichkeiten

Apps auf dem Smartphone vernetzen verschiedene Verkehrsmittel, die spontan, effizient und zuweilen sogar lustvoll genutzt werden können. Der Umstieg vom eigenen Auto auf eine Stadtbahn erspart die Suche nach einem Parkplatz, der Umstieg auf ein geteiltes Auto erlaubt die bedarfsorientierte Nutzung verschiedener Fahrzeugtypen. Mal kann es ein Cabrio sein, mal ein Kleintransporter – in Regel ist es ein aktuelles Modell. Reparaturen, Reifen- oder Ölwechsel sind für die Fahrzeugnutzer jedenfalls kein Thema mehr. Stimmen die Rahmenbedingungen, dann wird die Änderung von Gewohnheiten auf diese Weise zu einem Gewinn. Der Effekt von all dem: Die Bewegung im Raum erfolgt weniger klimaintensiv.

Die Verkehrswende braucht einen politischen Rahmen

Voraussetzung dafür ist allerdings politische Rahmensetzung. Sie ist notwendig, um die gewünschten Mobilitätsangebote entstehen zu lassen. Zu dieser Rahmensetzung gehören auch Maßnahmen, die nicht uneingeschränkt auf Zustimmung treffen werden, beispielsweise eine konsequente Parkraumbewirtschaftung oder der Verzicht auf Privilegien bei der Kraftstoffbesteuerung. Politiker, die wiedergewählt werden wollen, verhalten sich rational, wenn sie sich da zurückhalten. Deshalb ist die Verkehrsverlagerung fast zu einer Art Jahrhundertvorhaben geworden, das zwar permanent auf der politischen Tagesordnung steht, aber am Ende fast regelmäßig an mangelndem politischen Willen scheitert. Die neuen technischen Möglichkeiten geben der Politik allerdings die Chance und die Freiheit, die Regulierung des Verkehrsgeschehens konsequenter als bisher am Klimaschutz auszurichten, zumal sie auf diese Weise die urbane Lebensqualität deutlich verbessern können: Ohne die Mobilität einzuschränken wäre städtischer Raum, der bisher oft genug nur als Parkplatz dient, wieder für städtisches Leben verfügbar – und der Energiebedarf des Verkehrs würde auf ein Niveau gesenkt, das mit Aussicht auf Erfolg klimaneutrales Fahren ermöglicht.

Dafür die erforderlichen „Zutaten“ zu organisieren – die Antriebstechnik und die Antriebsenergie – ist Sache der Energiewende im Verkehr. Klar ist: Klimaneutral kann der Verkehr nur werden, wenn ausreichend klimaneutrale Energie zur Verfügung steht. Davon kann bisher nicht annähernd die Rede sein; selbst wenn sämtliche in Deutschland umgesetzte erneuerbare Energie irgendwie dem Verkehrssektor verfügbar gemacht werden könnte würden nicht einmal zwei Drittel seiner aktuellen Energienachfrage gedeckt – ganz zu schweigen davon, dass die erneuerbare Energie dann anderswo fehlen würde. Daraus folgt, dass das Aufkommen klimaneutraler Energie enorm gesteigert werden muss, damit neben der Industrie und den Haushalten auch der Verkehr klimaneutral werden kann.

Klimaneutral wird Verkehr nur mit erneuerbar erzeugtem Strom

Nach Lage der Dinge ist elektrischer Strom der einzige erneuerbare Energieträger, der sich hierzulande in größerem Maßstab erzeugen lässt. Klimaneutrale Fahrzeuge werden deshalb auf der Basis von Strom angetrieben. Strom lässt sich nicht nur direkt in Antriebsleistung umwandeln, sondern auch in jeden anderen flüssigen oder gasförmigen Energieträger, beispielsweise in Wasserstoff oder in strombasierte Kraftstoffe. Handelt es sich um klimaneutralen Strom, dann sind die aus ihm gewonnen Energieträger ebenfalls klimaneutral. Daraus folgt, dass sowohl Elektrofahrzeuge als auch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor klimaneutral unterwegs sein können. Im Prinzip.

Tatsächlich verursacht die Umwandlung von Strom in andere Energieformen, beispielsweise in flüssige oder gasförmige Kraftstoffe, nicht nur hohe Kosten; der Umwandlungsprozess selbst kostet viel Energie, die folglich für den Antrieb nicht mehr zur Verfügung steht. Ein „Verbrenner“ auf der Basis von strombasiertem Kraftstoff benötigt für 100 Kilometer rund 100 Kilowattstunden, ein batterieelektrisches Fahrzeug begnügt sich mit 15 Kilowattstunden. Der immense Vorteil kommt nicht nur wegen der direkten, quasi umweglosen Nutzung des Stroms zustande, sondern auch, weil Elektromotoren in punkto Wirkungsgrad Verbrennungsmotoren weit überlegen sind. Aus all dem folgt zwar nicht, das batterieelektrische Autos problemlose Gefährte sind, aber es heißt, dass sie in punkto Klimaverträglichkeit der Maßstab sind, an dem sich andere Fahrzeugkonzepte messen lassen müssen. Leider gilt das nicht für schwere Transportgefäße, für Schiffe, Flugzeuge oder auch für schwere Lkw. Wegen des enormen Gewichts entsprechender Akkus lassen sie sich allein mit Batteriekraft nicht bewegen. Es braucht daher klimaneutrale Kraftstoffe – oder, für Lkw, eine Stromversorgung per Oberleitung. Weil die Eisenbahn bereits weitgehend elektrisch fährt ist die Stärkung des Schienentransports allerdings die erste und wichtigste Option.

Die Bahn braucht Hilfe

Die Bahn selbst muss beweglicher werden, die Politik muss ihr faire Wettbewerbsbedingungen verschaffen. Ohnehin ist die Gestaltung der Rahmenbedingungen das Terrain des politischen Betriebs, nicht die Fokussierung auf technische Konzepte. Ein erster Schritt ist getan, damit die Fahrzeuge der Zukunft klima- und umweltverträglich unterwegs sind: In ihrem Klimaschutzplan 2050 hat die Bundesregierung beschlossen, die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors bis zum Jahr 2030 um 40 bis 42 Prozent zu senken. Das ist eine enorme Herausforderung – aber zumindest weiß jeder nun, wohin die Reise geht. Die Zukunft gehört denen, die den notwendigen Wandel aktiv gestalten. Wer sich verweigert wird zu den Verlierern gehören.

Christian Hochfeld ist Geschäftsführer der Stiftungsinitiative Agora Verkehrswende, die vor Kurzem „12 Thesen zur Verkehrswende“ publiziert hat: https://www.agora-verkehrswende.de/12-thesen

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