Interview: Aachens Rezept für die Fahrradstadt

Fünf Fragen an Uwe Müller, Abteilungsleiter Verkehrsplanung und Mobilität der Stadt Aachen

Sehr geehrter Herr Müller, die Stadt Aachen setzt sich seit Jahren für die Stärkung des Radverkehrs ein. Nachdem 2019 der Radentscheid angenommen wurde, hat sich Aachen zum heimlichen Champion der Radverkehrsförderung entwickelt. Bei einer Abfrage unter Städten und Kommunen hat Agora Verkehrswende festgestellt, dass Aachen bereits 2020 überdurchschnittlich viel investiert hat, nämlich etwa 12,30 Euro pro Einwohner:in pro Jahr. Für das Jahr 2022 sind Ausgaben in Höhe von 88,50 Euro pro Einwohner:in geplant – eine Zahl, die sogar im internationalen Vergleich mit Vorreiterstädten wie Kopenhagen hoch ist.

Wie haben Sie es geschafft, 2020 über 3 Millionen Euro in den Radverkehr zu investieren und im Haushalt für 2022 sogar 22 Millionen Euro für die Radverkehrsförderung vorzusehen? Und was braucht es für eine dauerhaft ausreichende Finanzierung?

Uwe Müller: Die Haushaltssituation folgt der Diskussion in der Aachener Stadtgesellschaft. Die Förderung des Radverkehrs wird zunehmend als eine der tragenden Säulen der Mobilitätswende begriffen. Der in 2019 nahezu einstimmig gefasste Stadtratsbeschluss, den Zielen des Bürgerbegehrens Radentscheid beizutreten, war ein starkes Zeichen. Dem folgen nun erkennbar höhere Haushalts- und Personaleinplanungen.

Aber um ehrlich zu sein: Auch 2020 war schon mehr Geld für den Radverkehr im Haushalt vorhanden. Aus vielerlei Gründen war es nicht möglich, die damit verbundenen Projekte alle umzusetzen. Wichtig ist die Unterstützung aus unterschiedlichen Fördertöpfen von Land und Bund wie auch aus dem europäischen Kontext. Wir beobachten dies kontinuierlich und können im Idealfall bereits erarbeitete Planungen und Ideen einreichen.

 

 

Sie haben auch die Personalkapazitäten von etwa 7 Vollzeitstellen für den Radverkehr im Jahr 2018 auf über 20 Vollzeitstellen in diesem Jahr ausgebaut. Die Fachkräfte sind knapp – wie haben Sie es geschafft, qualifizierte Mitarbeiter:innen zu gewinnen?

Uwe Müller: Sowohl der Radentscheid als auch die Modellprojektförderung zu klimaneutralen Innenstädten durch das Land NRW haben uns hier enorm gepusht und die Einrichtung zahlreicher neuer Stellen bewirkt. Sehr wichtig ist, dass nicht nur in Planung und Bau, sondern auch bei anderen Dienststellen wie etwa der Grün- und Umweltplanung oder der Straßenunterhaltung nachgelegt wurde!

Viele junge Kolleg:Innen kommen von den Aachener Hochschulen, manche auch aus der lokalen Planercommunity; der Wunsch an der Veränderung im eigenen Umfeld mitzuwirken ist eine häufig genannte Motivation. Und natürlich ist ein kreatives Personalrecruiting sehr wichtig! Da sind wir gut aufgestellt!


Was sind die wichtigsten Projekte, für die die neu gewonnen Ressourcen in den kommenden Jahren eingesetzt werden? Wo liegen Handlungsschwerpunkte bei der Radverkehrsförderung?

Uwe Müller: Wir wollen grundsätzlich qualitativ hochwertige Infrastruktur schaffen. Die Einrichtung von breiten (Radentscheidvorgabe 2,30 m) geschützten Radwegen an Hauptverkehrsstraßen muss daher gut geplant sein; die Zielvorgabe von 5 km pro Jahr ist anspruchsvoll. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Umsetzung von 10 km Rad-Vorrang-Routen pro Jahr. Unser Netz ist erarbeitet und beschlossen und verdichtet sich von Jahr zu Jahr. Geplant und umgesetzt werden vor allem Fahrradstraßen nach einem eigens erarbeiteten Standard. Zu den Standards zählt grundsätzlich die bevorrechtigte Führung von Rad- und Fußverkehr bei einmündenden untergeordneten Straßen, wie auch die komplette Rotfärbung der Radverkehrsinfrastruktur.

Auch der Ausbau des Fahrradparkens zählt zu den Schwerpunkten. Der Ausbau der Fahrradstation am Hauptbahnhof steht auf der Agenda, in diesem Herbst werden die ersten dezentralen Fahrradparkhäuschen wie auch abschließbare Radabstellplätze in städtischen Parkhäusern zur Verfügung stehen. Ein aktuelles Fahrradparkgutachten zeigt uns außerdem die Bedarfe für das Aufstellen von Fahrradbügeln im öffentlichen Straßenraum; hier wollen wir über 1.000 Abstellplätze pro Jahr schaffen. Dabei hilft uns auch die eigens dafür entwickelte Seite www.radbuegel-Aachen.de, auf der fast 9.000 konkrete Meldungen der Aachener:Innen eingegangen sind.

Und natürlich zählen vielfältige Anreiz-, Marketing- und Managementmaßnahmen dazu, wie etwa die Lastenradförderung für Familien mit Kindern, die Umsetzung unseres Aktionsplans Verkehrssicherheit oder die umfassende und frühzeitige Förderung des Radfahrens mit einem umfassenden Programm für und an Aachener Grundschulen mit einer eigens von der Stadt entwickelten Lernstätte und Curriculum im Bildungs- und Infozentrum Floriansdorf.

 

 

Es gibt mehrere Fahrradzählstellen in Aachen. Zusammen mit anderen Daten zur Verkehrslage, zur Verfügbarkeit von Ladesäulen oder zu Abfahrten von Bus und Bahn stellen Sie diese Daten in einem Mobilitätsdashboard zur Verfügung. Nutzen Sie diese und andere Daten auch, um die Fortschritte im Radverkehr zu evaluieren?

Uwe Müller: Das Dashboard ist in diesem Jahr online gegangen und ein voller Erfolg. Wir zeigen dynamisch aktuelle Daten und geben damit ehrlich Auskunft über die Nutzung unserer Infrastruktur. Unter https://verkehr.aachen.de sind derzeit die tagesaktuellen Werte von 24 Dauerzählstellen zu finden, an denen sich aktuelle Entwicklungen gut ablesen lassen. So ist etwa nach der (vorerst) provisorischen Einrichtung einer Durchfahrtssperre für den motorisierten Verkehr auf einer unserer Rad-Vorrang-Routen in der Bismarckstraße die Anzahl der Radfahrenden erkennbar und dauerhaft angestiegen. Die Daten sollen insgesamt dazu beitragen, die Entwicklung des Radverkehrs zu evaluieren und liefern einen Beitrag für unseren Lagebericht Mobilität!


Die Stadt Aachen ist auch in der Kommunikation der Fortschritte bei der Radverkehrsförderung aktiv. Erhalten Sie positive Resonanz (z.B. der Radfahrenden) für Ihre Arbeit? Worüber freuen Sie sich vielleicht am meisten?

Uwe Müller: Die Information und Kommunikation über unsere Projekte und Ideen ist unheimlich wichtig. Wir nutzen verschiedenste Wege, senden sehr viel über digitale Kanäle. In filmischen Beiträgen erklären wir, was wir machen; auf dem YouTube-Kanal der Stadt findet sich z.B. ein Video, in dem wir nachvollziehbar den Planungsprozess bis zum Bau einer Radverkehrsanlage am Beispiel zahlreicher aktueller Projekte erklären. Dabei kommen zahlreiche unserer jungen Kolleg:Innen zu Wort.

Das kommt gut an und erzeugt positive Rückmeldungen insbesondere aus der Community der Radfahrenden. Aber auch darüber hinaus: Ganz aktuell titelt der örtliche Zeitungsverlag „Unsere TOP 5 in Sachen Radfahrspaß“ in Aachen. Unsere Maßnahmen werden hier sehr positiv aufgegriffen: Gut für das Thema und die Motivation in der Verwaltung!"

 

Am 13.09.2022, 14:00-18:00 Uhr findet unser #AgoraStadtgespräch 2022 statt. Wie kann die Mobilitätswende beschleunigt werden? Die Stadt Aachen dient uns dabei als Praxisbeispiel. Zugesagt haben zum Beispiel die Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen, Sibylle Keupen, und die Beigeordnete für Planung, Bau und Mobilität, Frauke Burgdorff.

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Das Interview führte Esther Rublack. Für weitere Fragen wenden Sie sich bitte an Wolfgang Aichinger.

 

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