Die Mobilitätswende hat in den Städten bereits begonnen.

Innerhalb der größten deutschen Städte ist die Nutzung des privaten Pkw seit mehr als einem Jahrzehnt rückläufig. Zugleich nimmt der Anteil der Wege zu, die mit dem Fahrrad, zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie per Carsharing zurückgelegt werden. Gesellschaftliche Trends und Mobilitätsstile, etwa geringerer Auto- und Führerscheinbesitz bei der jüngeren Bevölkerung, beeinflussen die Verkehrsmittelnutzung – und in Folge davon den Bedarf an Mobilitätsangeboten und Infrastrukturen.43

Neben dem bestehenden städtischen Verkehrsangebot, dessen Rückgrat nach wie vor der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) bildet, drängen im Zuge der Digitalisierung neue Formen individueller Mobilität in die Städte. Hierzu zählen insbesondere kollaborative Mobilitätsangebote, wie zum Beispiel Car-, Ride- und Bikesharing. Diese Angebote, die teilweise bereits elektrische Antriebe nutzen, lassen neue räumliche Nutzungsansprüche entstehen: für Mobilitätsstationen, Fahrradabstellanlagen und Ladeinfrastrukturen. Für die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner bietet sich so eine immer breiter werdende Palette von Mobilitätsangeboten, die multimodales Verkehrsverhalten ermöglichen, also die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel. Dabei sinkt die Abhängigkeit vom privaten Auto, ohne die persönliche Mobilität einzuschränken.

Zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr weisen diese Trends im städtischen Personenverkehr in die richtige Richtung und sollten, politisch flankiert, gefördert und verstetigt werden.

Problematischer stellt sich die Lage im städtischen Wirtschaftsverkehr dar. Er ist wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Städten. Der stark gestiegene Online-Handel führt zu rasant wachsenden Zustellverkehren – mit negativen Auswirkungen auf Lärm- und Schadstoffemissionen, auf die Flächeninanspruchnahme und auf die Abnutzung der Infrastruktur. Diesen lokalen Herausforderungen hat die Kommunalpolitik zu begegnen, auch durch innovative Lösungen.44


43. Ahrens, G. (2013) und DLR, infas (2010)
44. Difu (2014)

  • Attraktive Städte sind nicht autogerecht.

    Das Leitbild der „autogerechten Stadt“, das in den ersten Dekaden der Nachkriegszeit städtebauliches Ideal war, stellte das Auto in den Mittelpunkt eines erstrebenswerten Lebensmodells. Ökologische Erfordernisse und Bedürfnisse nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer wurden diesem Paradigma oft untergeordnet. Dieser Ansatz hat sich in den vergangenen Jahrzehnten überlebt. Ein Grund dafür sind veränderte Wertvorstellungen. So wünschen sich beispielsweise 82 Prozent der Bevölkerung, in Städten und Gemeinden zu leben, in denen man nicht auf ein eigenes Auto angewiesen ist.45 In aktuellen Leitbildern liegt der Fokus heute verstärkt auf ökologischen und sozialen Aspekten. Das Bild der „lebenswerten Stadt“ als attraktiver Aufenthalts-, Wohn- und Arbeitsort erfährt nicht nur in nationalen und internationalen Standortwettbewerben verstärkte Aufmerksamkeit.46 Städte, die in solchen Rankings das Prädikat „lebenswert“ erhalten, zeichnen sich in der Regel durch eine moderne Verkehrs­planung und eine ambitionierte Verkehrspolitik aus.

    Das setzt voraus, Siedlungsentwicklung und Verkehrs­planung zusammenzudenken und sich am Leitbild der „Stadt und Region der kurzen Wege“47 zu orientieren. Kompakte Siedlungsstrukturen und die Mischung unterschiedlicher städtischer Funktionen in „qualitätsvoller Dichte“48 führen zu verkehrsvermeidenden Raumstrukturen. Sie bieten gute Voraussetzungen für die Vermeidung und Verlagerung von Verkehr, zeichnen sich durch kurze Lieferstrecken und einen geringen Flächenverbrauch aus, aber auch durch Angebote neuer Mobilitätsdienstleistungen. Vom Autoverkehr dominierte Strukturen werden in Flächen für den Rad- und Fußverkehr oder in Aufenthalts- und Grünflächen umgewidmet und rücken den Menschen wieder stärker in den Mittelpunkt.49

    Die Umsetzung entsprechender stadtplanerischer Konzepte kann den willkommenen Zusatzeffekt haben, die Kosten für die Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur sowie für den Betrieb des Verkehrs zu senken. Davon können sowohl private wie auch öffentliche Haushalte profitieren.50


    45. BMUB, UBA (2015), S.35
    46. Engel, B. (2015)
    47. Difu (2011b)
    48. Gehl, J. (2015), S. 87
    49. ebd.
    50. FGSV (2013)

  • Mit dem Auto wird der Umweltverbund zum Mobilitätsverbund.

    Ein qualitativ hochwertiger öffentlicher Verkehr ist und bleibt das Rückgrat einer klimagerechten Stadtentwicklung; er ist für die Erzeugung urbaner Lebensqualität ebenso unverzichtbar wie für die Funktionsfähigkeit von Städten und Regionen. Er bietet sichere und leistbare Mobilitätsoptionen für alle und sichert die Erreichbarkeit – bei deutlichen Umweltvorteilen gegenüber anderen motorisierten Verkehrsmitteln.51

    Technologische Entwicklungen wie die Elektromobilität bieten allerdings das Potenzial, die Attraktivität des ÖPNV noch zu verbessern: Elektrobusse fahren ruhiger und im Betrieb emissionsfrei. In sensiblen Innenstadtbereichen und Wohnquartieren können sie die Akzeptanz von Durchfahrten und Haltestellen erhöhen; im Vergleich zu Dieselbusflotten können mit elektrisch angetriebenen Bussen erhebliche Verbesserungen bei der Luftqualität erzielt werden, insbesondere in Innenstädten mit hohen Feinstaub- und Stickstoffdioxidkonzentrationen.52

    Trotz dieser technischen Verbesserungen wird sich der ÖPNV in den kommenden Jahren wandeln und sich neuen Trends anpassen müssen. Neue Trends und Entwicklungen prägen den Verkehrsmarkt und in der Folge das Verkehrsverhalten: So steht den Menschen – getrieben durch die wachsende Verbreitung von Informationstechnologien – ein immer breiteres Spektrum an Mobilitätsoptionen (z. B. Car- und Bikesharing, Ridesharing, Fernbusse) zur Verfügung; diese Optionen spielen ihre Vorteile insbesondere durch die Vernetzung mit dem klassischen Umweltverbund aus. Das Internet und das Smartphone werden dabei zum Schlüssel für vernetzte Mobilität (siehe These 5). Mit ihrer Hilfe werden zunächst die Erprobung und schließlich die einfache und spontane Verkehrsmittelnutzung möglich.

    Auf diese Weise mit neuen Mobilitätsangeboten vernetzt, wird aus dem klassischen ÖPNV ein umfassender Mobilitätsverbund (vgl. Abbildung 3.1). Dabei verwischen die Grenzen zwischen öffentlichem Verkehr und Individualverkehr. Unabhängig vom privaten Auto wählen Stadtbewohner aus verschiedenen Mobilitätsoptionen ihren optimalen Verkehrsmittelmix. Das bedeutet nicht, dass das Auto aus der Stadt verbannt wird: Vielmehr wird es fester Bestandteil dieses Mixes sein, durch die wachsende Anzahl von Carsharing-Fahrzeugen und Ridesharing-Angeboten. Sie stellen eine verlässliche automobile Option dar, die die Abhängigkeit vom eigenen Pkw verringert. Die vielfach beschriebene „Kannibalisierung des ÖPNV“ ist dabei nicht zu erwarten: Carsharing-Nutzer sind treue ÖPNV-Kunden – und umgekehrt.53



    Was auf diese Weise als Mobilitätswende in den Städten beginnt, wirkt sich auch auf die Verkehrsströme aus, die aus den Städten herausführen. Wer für alltägliche Wege auf den Mobilitätsverbund setzt, wird den Mehrwert eines Privatfahrzeugs auch für seltenere Wegezwecke wie Urlaub und Freizeit hinterfragen. Mobilitätsangebote wie Mietwagen und Bahnreisen ergänzen den städtischen Mobilitätsverbund und können das Mobilitätsverhalten auch auf der Langstrecke positiv beeinflussen.

    Wesentlich für die Akzeptanz eines solchen Mobilitätsverbunds ist die flächenhafte Ausweitung der Mobilitätsangebote. Nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner von Innenstädten größerer Metropolen, sondern auch die am Stadtrand und in weniger großen Städten Lebenden müssen von solchen Angeboten profitieren können. Darüber hinaus müssen die Angebote zuverlässig, einfach zugänglich und für alle bezahlbar sein. Hierfür benötigt der ÖPNV kalkulierbare Rahmenbedingungen, vor allem ein verlässliches finanzielles Rückgrat. Es kann zum Beispiel durch die Weiterentwicklung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes geschaffen werden oder mithilfe einer Nahverkehrsabgabe. Bund, Länder und Gemeinden müssen sich dringend dieser Herausforderung stellen.54


    51. Gies, J.; Deutsch, V.; Beckmann, K. J.; Gertz, C.; Holz-Rau, C.; Huber, F. (2016)
    52. Difu (2015)
    53. Topp, H. (2013)
    54. Gies, J.; Deutsch, V.; Beckmann, K. J.; Gertz, C.; Holz-Rau, C.; Huber, F. (2016) 

  • Fuß- und Radverkehr sind ein Gewinn für die Städte.

    Der Fuß- und Radverkehr ist bezahlbar, gesundheitsfördernd und schließt kaum jemanden von der Teilnahme aus. Er ist emissionsfrei, benötigt wenig Fläche und ist allen anderen Verkehrsarten in Hinblick auf Lärm, Abgase und Feinstaub überlegen.55 Städte mit einem hohen Radverkehrsanteil zeichnen sich meist auch durch eine geringere Stauintensität aus.56 Aus diesem Grund spielt die Nahmobilität, so der Sammelbegriff für den Fuß- und Radverkehr, eine zentrale Rolle, wenn es um umwelt- und klimaverträgliche Fortbewegung und um die Lebensqualität in Städten geht.

    Das Fahrrad als Verkehrsmittel ist in den vergangenen Jahren in der gesellschaftlichen Bedeutung stark gestiegen. Die Anzahl der Wege, die mit dem Rad zurückgelegt werden, wächst – ebenso wie ihre Länge.57 Die stärkere Radnutzung führt dazu, dass vermehrt Ziele im Nahbereich der Wohnung aufgesucht werden.58 Dadurch wird Verkehr ohne Einschränkung der Mobilität vermieden.

    Für den Erfolg der Mobilitätswende ist es entscheidend, diese positive Entwicklung fortzusetzen – auch gegen nicht auszuschließende Widerstände. Voraussetzung dafür ist eine sichere und bedarfsgerechte Radverkehrs­infrastruktur. Sind gute Radwege vorhanden, werden sie auch genutzt. So steigt der Radverkehrsanteil.

    Der Fußverkehr ist ähnlich vorteilhaft wie der Radverkehr, wurde aber in den vergangenen Jahrzehnten von der städtischen Verkehrsplanung oft vernachlässigt; erst neuerdings wird ihm wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Durch Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur, beispielsweise durch grüne durchgängige Wegenetze, lässt sich dieser Trend verstärken. Auf diese Weise kann der gesamte Anteil nichtmotorisierter Wege im Stadtverkehr bis auf über 50 Prozent steigen. Selbst im städtischen Wirtschaftsverkehr bietet sich mit (elektrisch unterstützten) Lastenrädern und Cargo-E-Bikes ein bislang noch nicht ausgeschöpftes Potenzial.59


    55. FGSV (2014)
    56. Tomtom Traffic Index (2016)
    57. BMVBS (2012)
    58. Difu (2011a)
    59. FGSV (2014)

  • Weniger private Autos schaffen wertvollen öffentlichen Raum.

    Städtische Flächen sind knapp und wertvoll. Die Art ihrer Nutzung entscheidet darüber, ob eine Stadt lebenswert, attraktiv und damit letztlich auch als Standort begehrt ist. Nutzungskonkurrenzen unterschiedlicher Bewohnergruppen oder Verkehrsteilnehmer können zu Konflikten führen.

    Die größten Nutzungsansprüche an den öffentlichen Raum stellt der motorisierte Individualverkehr (MIV). Gemessen am Modal Split beansprucht er Flächen im Übermaß und dominiert die Nutzung und Gestaltung der öffentlichen Stadt- und Verkehrsräume (vgl. Abbildung 3.2).

    Gemessen am Gemeinwohl stellt insbesondere der ruhende Verkehr den „funktional am wenigsten notwendigen und damit am ehesten zu verlagernden“60 Nutzungsanspruch an den Straßenraum dar.

    In vielen Städten – unabhängig von ihrer Größe – übersteigt die Nachfrage nach Autostellplätzen das vorhandene Angebot und beeinträchtigt den öffentlichen Raum in seiner Qualität, Attraktivität und Funktionsfähigkeit, beispielsweise durch das Parken in zweiter Reihe sowie auf Rad- und Gehwegen. Außerdem binden Parkflächen Finanzmittel einer Kommune, die nicht zwingend über Parkgebühren zu refinanzieren sind.61

    Die Kommunen verfügen jedoch über wirkungsvolle Instrumente und Maßnahmen, mit denen sie den Flächenverbrauch spürbar reduzieren und die Flächennutzung gezielt steuern können: zum Beispiel das Parkraummanagement und die Förderung von Carsharing.

    Das Parkraummanagement nimmt im Bereich der integrierten Verkehrsplanung eine Schlüsselrolle ein. Neben der Verkehrslenkung legt es den Umgang mit Flächen und ihre Nutzungsbedingungen fest. So lassen sich die insgesamt benötigten Flächen beschränken, Parkvorgänge zum Beispiel für Liefer- und Anwohnerverkehre priorisieren und Lärm- und Schadstoffemissionen reduzieren.62 Grundsätzlich entscheiden Kommunen über Angebot und Preis von Parkmöglichkeiten, allerdings nur in einem sehr eng gesteckten Rahmen. Sie können zwar gebührenpflichtige Parkzonen ausweisen, die Höhe der Bußgelder wird jedoch auf Bundesebene festgelegt. Gleiches gilt für die Bepreisung von Anwohnerparkausweisen, auch hier gibt der Bund den finanziellen Spielraum vor. Der Blick ins europäische Ausland, beispielsweise nach Zürich, Amsterdam oder Edinburgh zeigt, dass dort die kommunalen Handlungsspielräume größer sind. Um die Steuerung wirksam zu machen, sind sie auch hierzulande zu erweitern.63 Das Parkraummanagement ließe sich dann effizienter gestalten, Flächen könnten für die Allgemeinheit zurückgewonnen werden.


    Die Förderung von Carsharing – und von Ridesharing – kann zu einer niedrigeren Besitzquote privater Pkw und in der Folge ebenfalls zu einem reduzierten Flächenbedarf führen. Empirische Studien belegen, dass in den Innenstadtquartieren verschiedener Großstädte ein Carsharing-Auto acht bis 20 private Fahrzeuge ersetzen kann.64 Der Vergleich der Kosten, die ein Carsharing-­Unternehmen für die Nutzung eines öffentlichen Stellplatzes zahlen muss, mit den Kosten eines durchschnittlichen Anwohnerparkausweises, offenbart, dass der private Pkw, der durchschnittlich 23 Stunden am Tag geparkt ist, gegenüber einem gemeinschaftlich genutzten Fahrzeug deutlich subventioniert wird.65 Soll Carsharing als gemeinwohlorientierte Form individueller Mobilität gefördert werden, sind diese Gebühren auf den Prüfstand zu stellen – insbesondere in Gebieten, in denen Car­sharing mehr Förderung benötigt, um sich zu entwickeln. Hier sind die Länder und Kommunen gefordert, das jüngst beschlossene Carsharing-Gesetz mit Leben zu füllen und eine zeitnahe und koordinierte bundesweite Umsetzung zu erwirken.

    Diese beiden beispielhaft angeführten Maßnahmen sind geeignet, die städtische Flächennutzung stärker auf ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Nutzungsansprüchen auszurichten und nicht – wie heute meist üblich – auf einzelne Verkehrsträger zu fokussieren. Im Ergebnis wirkt sich dies positiv auf die Konkurrenz­fähigkeit der Städte im internationalen Standortwettbewerb um Bewohner, Arbeitskräfte und Unternehmen aus.

    60. DStGB zitiert in AGFS (2012), S.63
    61. Bracher, T.; Lehmbrock, M. (2008)
    62. Becker, U. (2016)
    63. DST (2016)
    64. BCS (2016)
    65. Carsharing-Unternehmen zahlen für die Nutzung eines Stellplatzes im öffentlichen Parkraum zwischen 35 und 85 Euro im Monat, Free-Floating-Angebote häufig noch mehr. Der durchschnittliche Anwohnerparkausweis in Deutschland dagegen kostet zwischen 20 und 30 Euro für zwei Jahre. Schriftliche Auskunft des BCS.

  • Der Wirtschaftsverkehr funktioniert auch klimaneutral.

    Der städtische Wirtschaftsverkehr ist in den vergangenen Jahren weit stärker als prognostiziert angestiegen, und auch für die zukünftige Entwicklung ist von einem anhaltenden Wachstum auszugehen. Insbesondere die Kurier-, Express- und Paket-Dienstleistungen (KEP) haben durch den rasant wachsenden Internet-Versandhandel stark zugenommen: So wurden im Jahr 2015 knapp drei Milliarden KEP-Sendungen in Deutschland zugestellt, das ist ein Wachstum von 5,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zwischen 2000 und 2015 ist die Zahl der KEP-Sendungen um 74 Prozent gestiegen.66 Hinzu kommt ein ebenfalls wachsendes Aufkommen beim Personen- und Güterwirtschaftsverkehr.67

    Diese wachsenden Verkehrsmengen werden überwiegend mit Dieselfahrzeugen abgewickelt, die für 80 Prozent der verkehrsbedingten Stickstoffdioxid-Immissionen verantwortlich sind. Die seit 2010 geltenden Luftqualitätsgrenzwerte der EU für diesen Schadstoff Nummer eins werden an der überwiegenden Anzahl von Messstellen überschritten.68 Im Jahr 2015 wurde aus diesem Grund ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Hohe Strafzahlungen drohen, wenn keine wirksamen Maßnahmen, wie beispielsweise Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, ergriffen werden. Der Druck wird zusätzlich erhöht, weil Umweltverbände vor Gerichten das Recht auf saubere Luft einklagen.

    Nicht nur die gesundheitsschädlichen Immissionen (siehe These 12) durch den wachsenden Lieferverkehr stellen die Städte vor Herausforderungen, sondern auch die zunehmende Behinderung von Verkehrsfluss und die Verkehrssicherheit. Bereits die nur kursorisch dargestellte Befundlage zeigt den dringenden kommunal­politischen Handlungsbedarf. Das Ziel formuliert die EU-Kommission in ihrem Weißbuch Verkehr: eine „im Wesentlichen C02-freie Stadtlogistik in größeren städtischen Zentren bis 2030“.69 Die Lösungen dafür sind im Grunde schon vorhanden.

    Erstens bieten City-Logistik-Konzepte Möglichkeiten, Warenströme vor dem Stadtgebiet zu sammeln und dann gebündelt zu verteilen. Verbesserte Lösungen sind im Zuge der Digitalisierung zu erwarten, durch eine anbieterübergreifende Bündelung können Fahrten eingespart werden (siehe These 5). Es bietet sich außerdem die Möglichkeit, die Waren auf kleinere Nutzfahrzeuge zu verteilen und beispielsweise an „Urban Hubs“, innerstädtischen Distributionsflächen, auf (elektrisch unterstützte) Lastenräder zu verladen, mit denen anschließend die Feinverteilung an die Kunden übernommen wird. Modellvorhaben haben gezeigt, dass eine solch multimodale Warenverteilung im städtischen Wirtschaftsverkehr wirtschaftlich darstellbar ist

    Zweitens können durch den Einsatz elektrischer Nutzfahrzeuge negative Umweltfolgen minimiert werden. Die ohnehin sehr effizienten und optimierten Routen der KEP-Dienstleister sind schon heute im städtischen Lieferverkehr überwiegend mit den gegenwärtigen Batterie­reichweiten zu bewältigen. Intelligentes Lademanagement kann dafür sorgen, dass die Fahrzeuge über Nacht auf den Betriebshöfen mit Strom versorgt werden.70

    Die innerstädtische Belieferung mit kleineren elektrischen Fahrzeugen bietet für die Kommunen viele Vorteile: geringerer Flächenbedarf, insbesondere beim Einsatz von Lastenrädern, und weniger Lärm sowie positive Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit. Auch auf Seiten der Unternehmen und Spediteure hat die klimaverträgliche Gestaltung des städtischen Wirtschaftsverkehrs Vorteile: Durchdachte City-Logistik-Konzepte führen zu vermeidbaren Fahrten, zu effizienten Verteilwegen und sparen Kosten.71

    Kommunale Strategien zur Umsetzung entsprechender Konzepte sind trotzdem nötig und möglich – etwa Fahrverbote für Dieselfahrzeuge oder Lkw-Führungskonzepte. Auf diese Weise können Kommunen dafür sorgen, beispielsweise Schwerlastverkehr aus sensiblen Gebieten herauszuhalten.


    66. BIEK (2016)
    67. Difu (2014)
    68. UBA (2017b)
    69. EU KOM (2011), S. 144
    70. TAB (2012)
    71. Difu (2014)

  • Städte brauchen mehr Unterstützung.

    Um die Mobilitätswende zu verwirklichen, müssen Städte eigenständige Visionen entwickeln, Ziele definieren und Maßnahmen umsetzen. Das erfordert Mut zu Experimenten und zur Erprobung neuer, auch unkonventioneller Strategien und Konzepte.72 Für langfristig tragfähige Strukturen sind mehr als nur marginale Änderungen an der bisherigen kommunalpolitischen Praxis nötig. Kommunale Aktivitäten sollten daher unter der Frage stehen: In welcher Stadt wollen wir leben? Wie kann der technologische Wandel der Stadt dienen – und nicht umgekehrt?

    Die Mobilitätswende bzw. die Transformation des städtischen Verkehrssystems ist in weiten Teilen eine kommunale Planungs- und Steuerungsaufgabe. Im Grundsatz gilt: Die Städte kennen die Herausforderungen, sie kennen ihre spezifischen Problemlagen, und auch Lösungsansätze sind vielfach schon vorhanden. Die erforderliche Transformation scheint offenbar weniger ein Erkenntnis-, als vielmehr ein Umsetzungsproblem zu sein. Die zentralen Fragen lauten: Wie können Politik und Verwaltung sich gegenseitig unterstützen und diese Transformationsaufgabe gemeinsam bewältigen? Wie gelingt die erfolgreiche Umsetzung der komplexen und vielfältigen erforderlichen Maßnahmenbündel über vereinzelte, erfolgreiche Pilotprojekte hinaus?

    Um erwünschte Wirkungen zu erzielen und unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden, sind nicht nur die beschriebenen integrierten Vorgehensweisen in über- und untergeordneten Planungsebenen wichtig, zum Beispiel im Rahmen integrierter Stadtentwicklungs- und Verkehrsentwicklungspläne. Auch benachbarte Planungsräume jenseits der eigenen Stadtgrenze sind einzubeziehen. Gerade in Zeiten, in denen Städte, Gemeinden und Kreise zunehmend unter dem Druck stehen, Kosten zu senken und zugleich ihre ­Leistungen qualitativ und quantitativ zu erhalten oder gar zu steigern, stellt die interkommunale Zusammenarbeit eine wichtige kommunale Handlungsoption dar.73

    Neben personellen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen sind zu diesem Zweck Akteursallianzen notwendig. Nur weitgehend gemeinsam können Politik, Verwaltung, Privatwirtschaft, Bürgerschaft, Wissenschaft und Medien die notwendige breite Unterstützung und Akzeptanz für kommunalpolitische Ziele erreichen. Die Handlungsbedingungen sind dabei von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Einen übertragbaren und allgemein gültigen Königsweg kann und wird es nicht geben.74 Die handelnden Akteure müssen das Rad allerdings auch nicht immer wieder neu erfinden: Es gibt viele gute Ansätze, die von einer Stadt auf andere Städte übertragen werden können. Hierfür ist ein zielgruppengerechter Wissenstransfer in die Kommunen und Kommunalverwaltungen seitens der Wissenschaft, der Projektträger und der Ministerien notwendig.

    Auch wenn die Kommunen Planungshoheit für ihre örtlichen Planungen haben, sind sie vielfach in der Umsetzung durch die bestehenden Gesetze des Straßenrechts und des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) eingeschränkt. Grundsätzlich sind sie auf die Unterstützung der Länder, des Bundes und auch der EU angewiesen. Bund, Länder und die EU sollten die Erstellung und Umsetzung integrierter Entwicklungskonzepte fördern, sowohl durch inhaltlich und interministeriell abgestimmte Förderprogramme als auch durch kommunale Erfahrungsaustausche und praxisorientierte Projekte. Die Kommunen benötigen Verlässlichkeit bei der Finanzierung des kommunalen Verkehrs (siehe These 10) ebenso wie erweiterte Spielräume kommunalen Handelns.75,76 Ein sinnvoller Weg, Kommunen in ihrer Innovationstätigkeit zu unterstützen, ließe sich über Anreizsysteme schaffen, um nachhaltige Mobilitätsformen zu erproben und in den Realbetrieb zu überführen.

    Von Bedeutung ist vor allem eines: Städte benötigen Rechtssicherheit. Insbesondere bei der Erprobung von temporären und flexiblen Nutzungen sollten sogenannte Experimentierklauseln kommunales Handeln erleichtern (siehe These 5). Die StVO und gegebenenfalls die Straßengesetze der Länder sollten dahingehend geändert werden, dass sie innovative Entwicklungen ohne aufwendige Widmungsänderungen ermöglichen. Die Maßnahmen und Instrumente, die für die Umsetzung genutzt werden, sollten nicht nur flexibel in der Anwendung sein, sondern auch an ihrem Beitrag für Umwelt- und Klimaschutz sowie für das Gemeinwohl gemessen werden.

    Über den Erfolg der Mobilitätswende wird aber nicht nur innerhalb der Städte entschieden. Es muss auch gelingen, die neu entstehenden Angebote verstärkt in der Fläche, also auch außerhalb der großen Zentren, anzubieten und so die Erreichbarkeit und die Mobilität von Menschen zu sichern.

    72. DST (2016)
    73. Beckmann, K. J. (2013)
    74. Difu (2015)
    75. Ein Beispiel für die mögliche Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums liegt etwa in der Gebührenbemessung von Anwohnerparkausweisen. Die Kommunen haben bislang nicht die Möglichkeit, die Gebühren für das Anwohnerparken beispielsweise am ökonomischen Wert innenstädtischer Flächen auszurichten, sondern müssen sich an die Vorgaben des Bundes halten.
    76. DST (2016)

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