Auch das Land wird von der Mobilitätswende profitieren.

Während in den Städten das Verkehrsverhalten zunehmend multimodal geprägt ist, bleibt auf dem Land für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung das private Auto Verkehrsmittel Nummer eins. Es wird für die meisten Wege genutzt und erst recht für weitere Strecken. Die Dominanz des Autos gilt im Übrigen auch für den Urlaubs- und Freizeitverkehr, der einen erheblichen Anteil an der Verkehrsleistung hat. Die Schaffung klimaverträglicher Alternativen zum herkömmlichen Pkw, sei es durch technische Effizienzsteigerungen oder durch Verlagerung auf umweltfreundliche Alternativen, stellt eine große Herausforderung dar.

Die Mehrzahl der Menschen lebt in Mittelstädten und in den sogenannten Speckgürteln der Ballungszentren. Das „Häuschen im Grünen“ erfreut sich einer ungebrochenen Beliebtheit. Die Arbeitsplätze befinden sich dagegen meist in der Stadt oder am Rand der Städte, wodurch es zu ausgeprägten Stadt-Land-Verflechtungen und zu einem großen Pendleraufkommen kommt. Im Zusammenhang mit flexibleren Arbeitsverhältnissen und Lebenslagen führt dies zu immer entfernungsintensiveren Lebensstilen und folglich zu einem anhaltenden Verkehrswachstum. Je disperser die Siedlungsstruktur, desto höher der alltägliche Radius der Aktivitäten und damit die Anzahl der Personenkilometer, die zurückgelegt werden.77 Dieser Prozess wird durch klimaschädliche Subventionen gefördert, zum Beispiel durch die Pendlerpauschale und Steuervorteile für Dienstwagen.


77. Canzler, W. (2016)

  • Auf dem Land bleibt das private Auto wichtig.

    Die Anzahl der alltäglich zurückgelegten Kilometer ist in ländlichen Regionen höher als in Städten – Gleiches gilt für die Autoverfügbarkeit. In Orten mit weniger als 50.000 Einwohnern sind fast 600 Autos pro 1.000 Einwohner zugelassen, in Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern sind es lediglich 360 Pkw auf 1.000 Einwohner.78 Analog dazu nehmen Angebot und Qualität des Öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV) mit abnehmender Siedlungsdichte ab. Aufgrund der hohen Autoverfügbarkeit und der damit verbundenen geringeren und schwer zu bündelnden Nachfrage ist der ÖPV im Vergleich mit dem privaten Pkw kaum konkurrenzfähig. Für die Daseinsvorsorge und Mobilitätssicherung mobilitätseingeschränkter und nichtmotorisierter Personen bleibt er jedoch unverzichtbar. Zwar lassen sich alternative Mobilitätsdienstleistungen wie Peer2Peer-Sharing, Mitfahrplattformen etc. auch auf dem Land realisieren - und zwar mit fortschreitender Digitalisierung und Verbreitung von Informationstechnologien sogar zunehmend einfacher. Dennoch ist aufgrund der dispersen Nachfragestrukturen mit wirtschaftlichen Geschäftsmodellen erst mittelfristig zu rechnen. Eine bislang auch aufgrund des geltenden Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) wenig berücksichtigte Finanzierungsmöglichkeit sind Querfinanzierungen zwischen nachfragestarken und -schwachen Regionen.

    Für die Aufrechterhaltung der Mobilität in ländlichen Räumen sind die Bewohner heute und auch perspektivisch auf ihr Auto angewiesen. Damit die Autonutzung im Einklang mit den Erfordernissen des Klimaschutzes geschieht, ist auf die technische Effizienz, in diesem Fall auf die Elektrifizierung des Antriebsstranges, zu setzen. Die Furcht vor ungenügenden Reichweiten batterieelektrischer Fahrzeuge ist dabei unbegründet: 80 bis 87 Prozent aller Wege der ländlichen und suburbanen Bevölkerung können bereits mit heutigen Batteriereichweiten elektrisch angetriebener Fahrzeuge bewältigt werden.79 Auch weitere berufliche Pendelwege sind zu bewältigen, wie detaillierte Auswertungen von Fahrprofilen zeigen.80 Das oft für Städte identifizierte Problem mangelnder Ladeinfrastruktur stellt sich dabei außerhalb der Zentren kaum. Die E-Fahrzeuge können auf dem eigenen Grundstück oder in der eigenen Garage einfach aufgeladen werden. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung von Elektromobilität ist das Laden der E-Fahrzeuge am Arbeitsplatz ebenfalls rechtlich möglich.81 Hinzu kommen weitere mögliche Vorteile in Verbindung mit der Stromproduktion im Eigenheim. So kann beispielsweise durch eine Solaranlage auf dem Dach eigener Strom produziert und zum Laden der Batterie verwendet werden (siehe These 9).


    78. ebd.
    79. TAB (2012)
    80. Fraunhofer ISI (2014)
    81. BMF (2016)

  • Elektrifizierung und Verlagerung gehen Hand in Hand.

    Die Elektrifizierung des Antriebsstranges ist gerade in suburbanen Regionen nicht der einzige Weg zu mehr Klimaschutz. Es gibt durchaus auch Potenzial zur Verlagerung des Pkw-Verkehrs auf umweltverträglichere Verkehrsmittel. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Pendlerverkehre.82 Interessant ist: Auf dem Land gelangt man schneller zur Arbeit als in den Städten. Sehr kurze Pendelzeiten sind überraschenderweise eher in ländlichen Räumen ohne größeres Oberzentrum verbreitet. Dort benötigen 30 Prozent der Erwerbstätigen maximal zehn Minuten zum Arbeitsplatz. Auch bei der Verkehrsmittelwahl zeichnet sich ein klares Bild ab: Außerhalb der Ballungsräume und der städtischen Zentren nutzen mindestens 70 Prozent der Erwerbstätigen das Auto für den Weg zur Arbeit, unabhängig davon, wie weit dieser Weg ist (vgl. Abbildung 4.1).83

    Dieser Befund bietet Ansatzpunkte für eine klimaverträglichere Gestaltung der Pendlerverkehre. 29 Prozent der Arbeitswege sind kürzer als fünf Kilometer, 20 Prozent zwischen fünf bis zehn Kilometer lang. Hier bestehen Potenziale zur Verlagerung von MIV-Fahrten auf das Rad bzw. Pedelec sowie zur Reduktion der verkehrlichen und ökologischen Folgen der Pendlerverkehre. Aufgrund des Geschwindigkeitsvorteils der Pedelecs im Vergleich zum Fahrrad erhöht sich der Aktionsradius enorm und Studien zeigen, dass selbst Pendeldistanzen von rund 15 Kilometer noch eine attraktive Alternative zum Pkw sein können – bei vergleichsweise geringen Kosten.84 Analog zur Dienstwagenregelung gibt es seit einiger Zeit eine Dienstradregelung, die einen guten Ansatzpunkt für betriebliches Mobilitätsmanagement bietet.

    Voraussetzung für die regelmäßige Pedelec-Nutzung als Pendelverkehrsmittel sind attraktive und durchgängige Radwegenetze oder sogar Radschnellwege, die ­darüber hinaus noch einen touristischen Mehrwert bieten. Ebenso notwendig sind sichere Abstellanlagen.85

    Aber auch bei der Nutzung des ÖPNV spielt die regionale Infrastruktur für das Pendlerverhalten eine entscheidende Rolle. In Regionen mit gut ausgebautem ÖPNV-Netz werden Arbeitswege oft mit dem öffentlichen Verkehr zurückgelegt. Sind die Netze gut, wird der ÖPNV in der Regel auch genutzt.


    82. Destatis (2014)
    83. Schüller, F.; Wingerter, C. (2016)
    84. Czowalla, L. (2016)
    85. Difu (2016)

  • Innovationen im öffentlichen Verkehr bringen Alternativen auf das Land.

    Für diese Erweiterung und Modernisierung des Mobili­tätsangebots in der Fläche sind grundlegend neue Ansätze notwendig. Fast überall gilt: Der klassische ÖPNV ist auf dem Land zu starr organisiert, mit der Folge zu großer Lücken in Netz und Taktung. Potenzielle Nutzer haben deshalb nur selten die Möglichkeit, das effizienteste Verkehrsmittel zu wählen oder es mit anderen Verkehrsmitteln zu kombinieren. Deshalb ist der Pkw mit einem Anteil von mindestens 50 Prozent aller Wege fast über sämtliche Lebensphasen eines Bewohners hinweg das vorrangige Verkehrsmittel im ländlichen Raum.86

    Schüler und Auszubildende bilden im ländlichen ÖPNV die nachfragestärkste Bevölkerungsgruppe. Die Subventionierung der Schülerverkehre finanziert die ländlichen ÖPNV-Angebote, entsprechend bestimmen diese das Angebot, die Fahrzeiten und Routen im öffentlichen Landverkehr. Die mit der demografischen Entwicklung verbundene zahlenmäßige Abnahme der Schüler stellt dieses herkömmliche Finanzierungssystem in Frage.

    Vor diesem Hintergrund bietet sich jedoch auch die Chance, ländliche Mobilität neu zu denken und neu zu gestalten (vgl. Abbildung 4.2). So können insbesondere liniengebundene und für die tatsächliche Nachfrage oft überdimensionierte Busse durch kleinere Fahrzeuge ersetzt werden, die flexibel buchbar mit intelligenter Routenführung das bestehende Angebot verbessern. Die Weiterentwicklung bestehender Ruf- und Bürgerbuskonzepte mithilfe von Smartphone-Apps bietet zum Beispiel die Möglichkeit, den rückläufigen Schülerverkehr effizienter abzuwickeln und zugleich die Attraktivität der neuen ÖPNV-Angebote zu erhöhen; ein Großteil der Kosten würde in dem Fall nur dann entstehen, wenn das Fahrtenangebot auch tatsächlich nachgefragt wird. In Gebieten, in denen das Fahrgastpotenzial gering und die Infrastruktur- und Betriebskosten des ÖPNV hoch sind, könnte auf diese Weise sowohl die Mobilität der Landbevölkerung als auch die Wirtschaftlichkeit der Verkehrsunternehmen verbessert werden.

    Auch der perspektivische Einsatz autonomer Fahrzeuge in ländlichen Gebieten bietet großes Potenzial für die Gestaltung finanzierbarer und attraktiver ÖPNV-Ange­bote (siehe These 5). Diese könnten jederzeit und allerorts buchbar sein und damit besonders nah an die Qualität und Flexibilität eines privaten Pkw heranrücken. Darüber hinaus zeigt eine Vielzahl von Pilotprojekten und Bürgerinitiativen, dass auch Mobilitätsdienstleistungen wie Car- und Bikesharing auf dem Land in bedarfsgerechter Skalierung darstellbar sind und insbesondere für den Freizeitverkehr einen Mehrwert darstellen können.


    86. VDV (2016)

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